Jens Schröter

Der (digitale) Film öffnet die Tür in den virtuellen Raum der Malerei
Ein medientheoretischer Versuch zur Krähen-Episode aus Akira Kurosawas DREAMS (YUME, 1990)


Einleitung

Akira Kurosawas Episodenfilm DREAMS (YUME, 1990) gilt wahrscheinlich zu Recht nicht als seine beste Arbeit. Allzu prätentiös scheint die Symbolik über das Unrecht Pfirsichbäume abzuholzen in der zweiten, allzu moralisierend die Botschaften der letzten drei der insgesamt acht Episoden über das Unheil der Atomtechnik und das Heil des Ländlichen. Und so enthält DREAMS auch eine Episode, die fünfte, welche penetrante Reminiszenzen an Kurosawas frühe Versuche als Maler und schlimmer noch Stereotypen des Künstlers als halbwahnsinnigem Genie, natürlich verkörpert durch Vincent Van Gogh, zu vereinigen scheint.
Zur Einleitung ein kurzer Überblick über die Episode Die Krähen: Sie wird wie jede Episode mit dem Schriftzug ‚Ich träumte einen solchen Traum‘ eingeführt. Wir sehen einen jungen Mann (Protagonist genannt ‚Ich‘, Akira Terao), der im Museum vor den Bildern Van Goghs offenbar intensiv fasziniert hin- und herläuft. Schließlich sammelt er sich vor Die Brücke von Langlois bei Arles mit Wäscherinnen (März 1888[1], Abb. 1) und versinkt in intensive Betrachtung... Plötzlich ist er in diesem Bild und beginnt seine Reise durch die ‚Welt Van Goghs‘: Er läuft durch zunächst fotografisch aufgenommene, wenn auch in der mise-en-scène bereits aufgearbeitete, Landschaften, begegnet dem Meister selbst (gespielt von Martin Scorsese), um dann endlich – begleitet von Klaviermusik (Chopin) – durch gemalte Szenarien Van Goghs zu irren. Ganz zum Schluss der Sequenz sieht er ‚Van Gogh‘, wie dieser in auf einem Feldweg zwischen Kornfeldern in die Tiefe entschwindet, Raben oder Krähen[2] flattern auf – und der junge Maler alias Kurosawa steht wieder im Museum vor dem letzten Bild seiner imaginären Reise – Getreidefeld mit Raben (Juni 1890), welches auch das vorletzte Gemälde Van Goghs überhaupt ist[3] – und zieht ergriffen seine Mütze vom Kopf...
Ohne Zweifel kann man diese Sequenz als autobiographische[4] Verbeugung Kurosawas vor der Malerei Van Goghs lesen, zumal sich Kurosawa als ehemaliger Maler oft auf Malerei bezogen hat.[5] Innerdiegetisch kann die ganze Sequenz als eine Darstellung des Imaginären des Protagonisten angesichts der überwältigenden Präsenz der Gemälde verstanden werden. Und leicht fällt es auch diese beiden Perspektiven zusammen zu denken. Aber vielleicht ist diese Sequenz viel interessanter, vielleicht ist sie mehr als bloß eitle Selbstbespiegelung.
Denn man kann diese Sequenz auch als eine komplexe Reflexion auf das Verhältnis von gemalten und fotografischen/filmischen Bildern verstehen,[6] eine Reflexion, die schließlich eine Fluchtlinie auf ein ganz anderes Phänomen hin öffnet. Denn kurz bevor 1990 DREAMS in den Kinos erschien, begann ein anderer Traum: der Traum einer – mit dem Computer jetzt angeblich möglichen – virtuellen Realität.[7] Und eine der zentralen Hoffnungen dieser Träume war gerade die Grenze zum Bildraum endlich übertreten zu können: So bemerkte etwa 1995 Phillipe Quéau zuversichtlich: „In Zukunft können wir in die Bilder eintreten.“[8] Die lange und stets etwas randständige Tradition immersiver Bilder schien mit der virtuellen Realität zu sich zu kommen.[9]
Auch wenn mir keine expliziten Äußerungen Kurosawas über die Bildpotenziale digitaler Medien bekannt sind, so ist doch DREAMS ein Film, in welchem der Regisseur auf die noch neuen Möglichkeiten digitaler Spezialeffekte der führenden Firma Industrial Light & Magic zurückgriff.[10] Natürlich ist dies nur ein Wink – doch kann man daraus schlussfolgern, dass Kurosawa mit digitalen Bildverfahren in Berührung gekommen ist. So behauptet eine Autorin auch, leider ohne dies weiter auszuführen: „[I]n Crows [= Die Krähen, J.S.] Akira Kurosawa established a simulation of a journey through the evolution of the image in the 20th century, from analogue to digital poetics.“[11]
Daran anschließend sei hier eine alternative Lesart der Krähen vorgeschlagen, die die Episode als explizite Auseinandersetzung mit den verschiedenen Bildlichkeiten von Malerei, Fotografie und Film und als implizite, ja vielleicht von Kurosawa bewusst gar nicht intendierte Thematisierung des Übergangs vom Bildraum zum Raumbild[12] im Medienumbruch zu den digitalen Medien versteht. Die rund 9‘50[13] lange Episode ist aus 44 Einstellungen aufgebaut, deren Länge von wenigen Sekunden bis zu ca. 1‘37 reicht.


Sequenz 1 0‘00: Exposition, der Rahmen


Und diese längste Sequenz ist die einleitende, in der der Protagonist im Museum vor 6 Bildern Van Goghs hin- und herschreitet. Ganz zu Beginn wird ein Selbstportrait Van Goghs (Selbstportrait mit Palette, August/September 1889) dargestellt. Hier interessieren nicht so sehr die Konnotationen von Auktorialität, die ein solches Selbstportrait aufruft, sondern vielmehr, dass der Frame oben und unten exakt mit dem massigen Rahmen des Bildes abschließt. Dann – nach einigen Sekunden – tritt rechts der Protagonist ins Bild und nimmt genau den Raum zwischen Bildrahmen und Frame ein, wodurch der Raum zwischen der Grenze des Gemäldes und der Grenze des Filmbildes unterstrichen wird (Abb. 2). Wieder vergehen einige Sekunden und das mutmaßliche alter ego Kurosawas geht nach links aus dem Bild, die Kamera fährt mit, das Selbstportrait ‚verlässt‘ rechts das Filmbild und das nächste Gemälde Van Goghs (Die Sternennacht, Juni 1889) kommt in den Blick. Genau derselbe Vorgang wird mit zwei weiteren Bildern wiederholt. Offenkundig wird hier die Differenz zwischen zwei verschiedenen Typen von Bildbegrenzungen inszeniert: Nämlich die zwischen dem Rahmen des Gemäldes, der den Bildinhalt fest einschließt, und dem Frame des Filmbildes, der als mobiler Ausschnitt einer größeren Totalität operiert. Es geht um die Differenz zwischen – wie André Bazin es formulierte – cadre und cache.[14] Doch trotz dieser Differenz hinsichtlich der ‚seitlichen‘ Bildbegrenzung teilen Malerei und Film (und auch Fotografie etc.) aber die Eigenschaft, dass die ‚vordere‘ Bildbegrenzung unüberschreitbar ist – niemand kann in den Bildraum oder in die Diegese eindringen.
Genau das wird in der Exposition thematisiert, denn am Ende der beschriebenen Kamerabewegung nach links steht der Protagonist vor dem Getreidefeld mit Raben, welches durch den dargestellten Feldweg in die Tiefe des Bildraums den Betrachter zum (unmöglichen) Betreten auffordert (Abb. 3). Und kaum dass der Protagonist dieses Gemälde betrachtet hat, fährt die Kamera nach rechts und zurück und gibt schließlich den Blick auf drei der Gemälde frei (Abb. 4), d.h. der filmische Blickpunkt kann zurückfahren ohne die ‚vordere‘ Bildbegrenzung zum Betrachter hin zu durchstoßen. Die Betonung der Unberührbarkeit des Bildraums ist eigentlich eine Platitüde – wäre da nicht eben jene mit dem Aufkommen der Virtuellen Realität um 1990 neu aufgeflammte Idee, die Bilder könnten durch die neuesten Medien eben doch betretbar werden. Und exakt das geschieht in der Krähen-Episode ja auch.
Als nach 1‘37 der erste Schnitt die lange Exposition der Rahmungs-Problematik unterbricht und einen weiteren, spezifisch filmischen Rahmungstyp – den Schnitt – einführt, geschieht das, um das vorher schon en passant gezeigte Bild Die Brücke von Langlois bei Arles mit Wäscherinnen (März 1888) und den Protagonisten, der wieder genau zwischen cadre und cache positioniert ist, hervorzuheben: Nicht zufällig hat Kurosawa ein Bild ausgewählt, das motivisch eine Brücke zeigt – also eine Technik zur Überwindung einer Barriere. Denn durch dieses Bild tritt der Protagonist in den Bildraum ein.

Sequenz 2 1‘48: Eintritt, Bewegung, Japonismus und die Rasterung

Nun sind wir also im Bild. Ein weiterer Schnitt beendet die Exposition und wir sehen eine recht genaue Nachstellung der Brücke von Langlois. Zunächst steht das Bild jedoch still, nach einigen Sekunden ertönt Klaviermusik und dann erst setzt es sich in Bewegung. Offenkundig wird hier also die Differenz zwischen cadre und cache erneut hervorgehoben, indem die Differenz zwischen dem statischen und dem bewegten – durch die Musik explizit verzeitlichtem – Bild inszeniert wird. Doch zugleich geht es hier um ein Bild, das jenseits des unbetretbaren Filmbildes steht, denn der Protagonist kommt von links in das Bild und beginnt seine Reise. Abb. 5 zeigt den Moment, in dem er die sonst für immer unansprechbaren Wäscherinnen – quasi interaktiv – begrüßt und nach dem Aufenthaltsort Van Goghs fragt. Wenn das Virtuelle definiert werden kann als die Eröffnung der Möglichkeit „mit Objekten zu interagieren, die nirgendwo außerhalb der Kommunikation existieren – die also nur als Zeichen existieren“[15], dann handelt es sich bei der Darstellung einer Plauderei mit gemalten Wäscherinnen um die Inszenierung eines virtuellen Raums. Darauf wird zurückzukommen sein.
Zunächst weiter zu Abb. 5: In dieser Einstellung findet sich die für Kurosawa typische Dialektik von Fläche und Tiefe.[16] Das rechte Bilddrittel zeigt den Durchblick in die Tiefe hinter der Brücke, zugleich ist es in drei klar getrennte Streifen – oben Himmel mit der geometrisierenden Konfiguration der Brücke, in der Mitte das entfernte Ufer und unten das Wasser – geteilt. Die linken zwei Drittel des Bildes zeigen die Wäscherinnen vor der jeden Blick in die Tiefe verstellenden und zudem in offenbarer Anlehnung an Van Goghs Malstil auffällig kolorierten Mauer, zur Linken steigt in einer Diagonale das Ufer an. Die Mauer dient aber nicht nur zur Inszenierung des Gegensatzes von Fläche und Tiefe; oder der Inszenierung eines ‚Stils Van Goghs‘. Sie spielt mit den gefärbten einzelnen Steinen auch auf die aus farbigen Bildelementen aufgebauten Bilder an – und das sind eben nicht nur die pointillistischen, impressionistischen und post-impressionistischen (wie Van Goghs) Gemälde des späten 19. Jahrhunderts. Es sind auch die hybriden Bilder schon des Fernsehens und Videos und vor allem die digitalen Bilder, insofern diese aus einzeln adressierbaren Bildpunkten bestehen.[17] Kurz nach seinem Gespräch mit den Wäscherinnen geht der Protagonist die Böschung hoch und nochmals wird die ‚gepixelte‘ bzw. gerasterte Mauer unübersehbar in den Blick gerückt (Farbtafel I).
Van Gogh hatte nur kurz vor der Anfertigung der Brücke von Langlois drei Kopien japanischer Holzschnitte (bzw. derer Reproduktionen) hergestellt, indem er die Vorlage rasterte, ein vergleichbares Rastermuster auf die Leinwand malte und so das Bild übertrug.[18] Die Rasterung des Bildes, die heutigem Bildscanning noch immer zugrunde liegt, war Van Gogh also tatsächlich bekannt. Überdies weist diese Vorgeschichte auch darauf hin, dass das Gemälde als interkulturelle Brücke zwischen europäischer Moderne und japanischer Bildlichkeit (genauer: einem in der japanischen Bildtradition wichtigen reproduzierbarem Bild, dem Holzschnitt) verstanden werden kann. Folglich heißt es explizit zur Brücke von Langlois: „In this painting, Van Gogh sought to represent the Provencal landscape in the manner of a Japanese woodcut“[19] – dies begründet nochmals die Wahl dieses Gemäldes durch Kurosawa, dessen Arbeit ja selbst zwischen westlichen und japanischen Traditionen steht.

Sequenz 3 2‘50: Malerei, die Farbe und die Suche nach dem Zentrum

Der Protagonist geht nun also an der Wand vorbei, dann buchstäblich über die Brücke in die Bildtiefe hinein (eine Verdoppelung seines Übergangs). In der folgenden Sequenz (ab 2‘50-3‘46), die insgesamt aus fünf Einstellungen besteht, eilt er durch verschiedene fotografisch aufgenommene Landschaften bzw. an Scheunen und Häusern vorbei. Die räumliche Kontinuität steht dabei nicht im Vordergrund, vor allem die Farbigkeit ist als zentrales Stilmittel herausgehoben. Rot, Blau und Gelb, also die Grundfarben der in der Malerei gültigen subtraktiven Farbmischung dominieren (Farbtafel II).[20] Es scheint so, als seien etwa die Scheunen und Häuser extra zu diesem Zweck angestrichen worden.[21] So wird weniger ein konkreter Ort, sondern vielmehr eine dezidiert malerische Atmosphäre etabliert, die sonnendurchflutete, intensiv farbige Welt der Provence: Van Gogh war im Februar 1888 nach Arles gekommen (später ging er nach Saint-Rémy und Auvers-sur-Oise) und malte dort als eines der ersten Bilder die eingangs diskutierte Brücke von Langlois. Diese Sequenz ist also eine Transition und bebildert die Suche des Protagonisten nach dem Zentrum dieser malerischen Welt – oder wie Deleuze über Kurosawas Kino bemerkte: „[M]an geht von allen verfügbaren Angaben aus [die Hinweise der Wäscherinnen in der zweiten Sequenz, J.S.], um den Aufenthaltsbereich der Unbekannten immer weiter einzugrenzen.“[22] Immer tiefer taucht der Protagonist – quasi immersiv – in die Welt Van Goghs ein, sie wird durch ihr Kolorit bereits zur Kette potentieller Gemälde und schließlich gelingt ihm die Ermittlung des ‚Aufenthaltsbereiches‘ desjenigen, um den sich jene Bildwelt zu ordnen scheint: Wieder sieht er sich suchend um und entdeckt, dargestellt in einer Totale, in der Ferne auf einem Kornfeld mit Heuhaufen eine winzige Gestalt, von der die Betrachter schon zu diesem Zeitpunkt wissen, dass sie Van Gogh (Martin Scorsese) sein muss (Abb. 6).

Sequenz 4 3‘47: Film, das Maschinelle und die Kunst

So kommen wir ins Zentrum der Krähen-Episode. Die Totale zieht sich mit dem nächsten Schnitt etwas auf Van Gogh zusammen – und von rechts kommt der Protagonist ins Bild (Abb. 7). D.h. das Bild, das wir – etabliert durch den Blick des Protagonisten – für einen Point-of-View-Shot hielten, ist gar kein solcher (mehr). Meines Erachtens ist diese Zurückweisung des Subjektiven[23] gerade am Beginn der zentralen Sequenz der Episode ein Indiz dafür, die autobiographischen Konnotationen nicht zu überbetonen.[24]
Der Bildraum zieht sich in den folgenden Einstellungen immer weiter um Van Gogh zusammen. Zunächst wählt Kurosawa eine amerikanische Einstellungsgröße. Der Protagonist nimmt Kontakt auf, kommt aber über ein zögerliches „Sind Sie Vincent van Gogh?“ kaum hinaus, denn der berühmte Maler beginnt sofort mit einem Monolog über seinen Schaffensprozess. Wichtig ist dabei der Satz: „Ich treibe mich vorwärts wie eine Lokomotive.“[25] In diesem Moment erscheint ein Insert, das im Close-Up eine von rechts nach links das Bild durchquerende Lokomotive zeigt (Abb. 8). Die nächste Einstellung zeigt Van Gogh im Close-Up (Abb. 9) – blickend und malend.[26] Insgesamt alternieren[27] zwischen 5‘08-5‘27 vier solche Van Gogh-Einstellungen mit drei solcher Lokomotiven-Inserts.
Zum Einen wird in dieser alternierenden Subsequenz, die durch die rhythmische Anordnung der sowohl kürzesten als auch nahesten Einstellungen (Kontraktion des Raums) in der ganzen Sequenz als Kern der Episode hervorgehoben ist, in den Kern des künstlerischen Schaffensprozesses ein maschinelles und automatisches Moment eingeführt.[28] Dieses widerspricht dem gerade mit Van Gogh verbundenen expressionszentrierten und interioristischen Künstlerbild. Die selbst rhythmische Rotation der Räder der Lokomotive deutet dabei zunächst auf jene – eben nicht mehr auf die Hand des Künstlers, wie sie in der Sequenz auch inszeniert wird, rückführbare – Kunst mit Maschinen, die wir Kino nennen.[29] Dies wird dadurch gestützt, dass der zentrale Gründungsmythos des Kinos der angebliche Ausbruch von Panik angesichts eines der ersten Filme überhaupt ist; eines Films, in dem es um einen heranrasenden Zug geht – DIE ANKUNFT EINES EISENBAHNZUGES IM BAHNHOF VON LA CIOTAT (Louis Lumière, F 1895).[30]
Im Lichte der Zurückweisung des Subjektiven am Beginn der Sequenz; durch Rekurs auf den Japonismus der Brücke von Langlois, der selbst auf die mit Rasterung, also einer ziemlich mechanischen oder besser: algorithmischen[31] Technik, angefertigten Kopien japanischer Holzschnitte (selbst wieder eine proto-maschinelle Drucktechnik) zurückzuführen ist und eben durch die Anspielung auf den Ursprungsmythos des technischen Mediums Kino wird deutlich, dass Kurosawa sich des irreduzibel Technischen in letztlich jeder Form der Bildproduktion wohl bewusst war.
So gesehen ist die mit Trickeffekten bewirkte diegetische Intrusion einer Figur in die Bildwelt Van Goghs, der ja nicht zufällig von einem Filmregisseur gespielt wird, Metapher für das – vielleicht von Kurosawa reflektierte – Versprechen einer neuen[32], digitalen Technik, die nun wirklich und endlich den Bildraum in ein Raumbild verwandeln kann... Und genau das inszeniert der Regisseur in der übernächsten Sequenz.

Sequenz 5 5‘30: Fotografie/Film, der (Aus)Schnitt, das Licht der Sonne und das Auge

Die gesamte Krähen-Episode besitzt einen bewundernswerten symmetrischen Aufbau: Aus dem Museum in die Landschaft, eine kleine Transition, und dann auf die Alterationssequenz Van Gogh schaffend/Lokomotive und dann wieder eine kleine Transition 2, zurück in die Landschaft und schließlich wieder zurück ins Museum. Bei der Transition 2, die aus dem verdichteten Zentrum der Sequenz wieder herausführt und insofern die erste Einstellung von Sequenz 4 spiegelt, sind wir jetzt. Hier findet sich zwischen 5‘51 und 6‘39 die zweitlängste Einstellung der gesamten Episode. Das ist vielleicht ein wenig verwunderlich, denn der Höhepunkt der Sequenz scheint vorüber zu sein.
Doch in Sequenz 5 wird das wohl unvermeidliche abgeschnittene Ohr diskutiert – es wurde abgeschnitten, so Van Gogh, weil es sich unbotmäßig dem Bild verweigerte. Diese Akzentuierung Kurosawas unterstreicht erneut das Primat des Bildes. So gesehen spielt das abgeschnittene Ohr nicht (nur) als Signifikant ‚genialischer‘ und mithin ‚verrückter‘ Subjektivität eine wichtige Rolle, sondern unterstreicht gegen jede hagiographische oder autobiographische Lesart die Reflexion verschiedener Typen von Bildlichkeit und ihrer intermedialen Konnexionen. In diesem Lichte könnte man die Thematisierung des abgeschnittenen Ohrs auch als Metapher des Schneidens, des Schnitts verstehen. Der Schnitt ist nicht nur eine spezifische Rahmungsform aller Bewegungsbilder entlang der Zeit und als Aus-Schnitt schon Spezifikum der Fotografie. Konkreter noch führt die filmische Organisation von Aus-Schnitten entlang der Zeit (Montage) u.U. zu einer Fragmentierung von Körperbildern (z.B. den Close-Ups auf Van Goghs Gesicht in der Sequenz zuvor).
Diese Bezugnahme ist nicht ganz so abwegig, wie es zunächst scheinen mag, denn neben dem einfahrenden Zug von Lumière gibt es noch einen weiteren Mythos des neuen Mediums Film – Béla Balázs’ ‚Mädchen aus Sibirien‘. Laut Balázs, der die Geschichte von einem seiner „alten Moskauer Freunde“ haben wollte, ging das Mädchen, das zuvor noch nie einen Film gesehen hatte, in ein Kino: „Bleich, mit finsterer Mine kam sie zurück. [...] ‚Ich habe gesehen, wie sie Menschen in Stücke gerissen haben. Der Kopf, die Füße, die Hände, alles war woanders.‘“ Und Balázs ergänzt: „Wir wissen, daß in jenem Hollywooder Kino, in welchem Griffith zum ersten Mal seine Premierplan-Detailbilder vorführte und ein riesengroßer ‚abgehackter‘ Kopf dem Publikum zulächelte, Panik ausbrach.“[33] So wie der einfahrende Zug Mythos des Bewegungsbildes, so ist das sibirische Mädchen bzw. Griffiths abgehackter Kopf Mythos der Montage.
Diese Thematisierung des Schnitts, der Fragmentierung und der Montage im Zusammenhang mit der Malerei kann wiederum als Verweis auf die historische Zäsur zwischen der so plötzlich entmachteten Malerei[34] zu den fotografischen und kinematographischen (aber auch a fortiori zu den digitalen) Medien gelesen werden – „Medien [sind] epochale Einschnitte in der Gesellschaft, der Kultur und der Kunst.“[35] D.h. als Anspielung des Übergangs vom zentripetal geschlossenen Bildraum der Malerei zum sequenziell und zentrifugal konstruierten Bildraum des Films – mit Ausblick auf das navigationale Raumbild digitaler Medien.
Diese Lektüre wird bekräftigt durch die Inszenierung der Sonne in den folgenden Einstellungen – gegen Ende der hier diskutierten Sequenz bemerkt Van Gogh: „Die Sonne, sie zwingt mich zu malen“ und in einer Gegenlichteinstellung wird das Licht der Sonne extra hervorgehoben (Abb. 10). Die Sonne ist die für alle Lebewesen auf der Erde notwendige Grund- und Urform des Lichts, jenes Lichts, das mehr noch als der Malerei allen fotografischen Medien (bis zu den halbdigitalen CCDs in digitalen Foto- und Videokameras) zugrunde liegt. Nicht zufällig war der einer der frühesten Namen (nach point-de-vue), den Nicephore Niépce um 1826 der entstehenden Fotografie gab Heliographie – also ‚Sonnenschrift‘.[36] Die Inszenierung der Sonne – Kurosawa ist offenbar nicht nur „einer der größten Regisseure des Regens“[37] – verweist aber nicht nur allgemein auf die Bedingung der Möglichkeit fotografischer Medien, sondern gerade deswegen konkret auf das Kino, da der blendende Blick in die Sonne – vom Protagonisten nur mühsam mit der Kappe abgewehrt (Abb. 11) – ein wichtiger Bestandteil der Archäologie des Kinos ist: In der physiologischen Erforschung des Auges in den späten 20er Jahren des 19. Jahrhunderts formulierte Joseph Plateau das Gesetz von der ‚Trägheit des Auges‘, also dass Nachbilder eine Zeitlang verweilen.[38] Dieses Wissen war die wesentliche Bedingung der Möglichkeit des kinematographischen Bewegungsbildes. Plateau erforschte die Nachbilder durch zu langes Starren in die Sonne, was ihn schließlich sogar das Augenlicht kostete: Wie Van Gogh sein Ohr für die Malerei, so opferte Plateau seine Augen für das kommende Kino.
Eine weitere Inspiration für die Erforschungen des Auges war im 19. Jahrhundert ausgerechnet „the often accidental observation of new forms of movement, in particular mechanized wheels moving at high speeds. Purkinje and Roget [andere Forscher neben Plateau; J.S.] both derived some of their ideas from noting the appearance of train wheels in motion [...].“[39] Mithin ist die Verbindung der Zugsequenzen mit der Inszenierung der Sonne – nur folgerichtig endet die Szene damit, dass in dem Moment, in welchem der Protagonist auf dem sonnendurchfluteten Feld dem gerade entschwundenen Van Gogh nachzulaufen beginnt, ein kräftiges Pfeifen eines Dampfzuges erklingt – lesbar als eine komprimierte Chiffre für die epistemischen Bedingungen der fotografischen und kinematografischen Medien, die die Kunst im Allgemeinen und die Malerei im Speziellen irreversibel veränderten.[40]

Sequenz 6 7‘01: Im-Gemälde-Sein, der virtuelle Raum und der Index

Die Malerei hat in der nächsten Sequenz ihren prominenten Auftritt – aber konsequenterweise als andere. Nun läuft der Protagonist – der Special-Effects-Schmiede Industrial Light & Magic sei‘s entgegen landläufigen Behauptungen nicht gedankt[41] – wirklich durch die Gemälde Van Goghs wie durch die Landschaften in Sequenz 3. Aus der Kette potenzieller wird eine Kette tatsächlicher Bilder bzw. Bildfragmente von Gemälden Van Goghs. Einerseits liegt das ganz auf einer Linie mit der vorherigen Thematisierung der Sonne, des Zugs und damit des Kinos. So schreibt Jacques Aumont etwa über die Veränderung der Wahrnehmung im späten 19. Jahrhundert, die der Erfindung des Kinos vorausgeht, dass es zu einer „Konzeption der Welt als ununterbrochenes Feld potentieller Gemälde, das vom Blick des Künstlers gestreift wird, von einem Blick, der es durchläuft, durchforscht, der oft verweilt und der Ausschnitte des Feldes rahmt[42] kommt. Man kann darin das Szenario Kurosawas erkennen.
Der Protagonist vollzieht angestoßen durch die chochafte Begegnung mit dem Zentrum der Bildwelt – nach einem schönen Wort Max Imdahls – den Übergang vom wiedererkennenden zum sehenden Sehen. Er läuft wieder durch Landschaften und an Häusern vorbei, doch sieht er nunmehr allein ihr Kolorit, Hell/Dunkel, Masse, Raum, Fläche/Tiefe. Der Übergang zu Sequenz 6 wird durch den abrupten Helligkeitsunterschied zwischen der Einstellung auf dem Kornfeld und der folgenden Einstellung unterstrichen. Dann wird nochmals auf die Sonne angespielt (Abb. 12) – diesmal aber schon in Form einer von Van Gogh gemalten Sonne in Großaufnahme.[43] Dabei ist auffällig, dass das Bild wie durch Hitzeschlieren erscheint. Diese Überlagerung von ‚Realraum‘ und ‚Bildraum‘ ist das Scharnier zwischen den vorherigen Sequenzen und der jetzt folgenden Bewegung durch den virtuellen Raum[44] der Malerei selbst.
Denn ab nun bewegt sich der Protagonist durch eine Serien von neun Einstellungen (7‘15 - 8‘57), in denen je ein Ausschnitt aus einer Zeichnung bzw. einem Gemälde Van Goghs den Hintergrund bildet. Dabei beginnt Kurosawa in den ersten drei Einstellungen mit Ausschnitten aus drei Zeichnungen Kurosawas.[45] Diese Reihenfolge – erst die Zeichnungen und dann die Gemälde – ist wahrscheinlich ein Verweis auf die Arbeitsweise Van Goghs, der oft Vorzeichnungen zu seinen Gemälden anfertigte (und auch auf seine Biographie, denn er begann als Zeichner und nicht als Maler).[46] Abb. 13 zeigt die dritte dieser Einstellungen. Man sieht einen Ausschnitt aus der Zeichnung Landhäuser mit Strohdächern (Mai 1890).[47] Besonders bemerkenswert ist in dem hier gewählten Moment die Verdeckung des Protagonisten durch einen gezeichneten Busch, ein Verfahren, welches auch in einigen anderen Einstellungen dieser Sequenz eingesetzt wird, besonders markant in der siebten, wo der Protagonist durch einen Ausschnitt des Gemäldes Große Platanen (zweite Version, Dezember 1889, Abb. 14)[48] hinter einem Baum her und dann zwischen den Bäumen nach vorne aus dem Bild läuft (Abb. 15). Während also die einerseits die Bildausschnitte horizontal entlang der Zeitachse zu einem großen Raum (‚die Welt Van Goghs‘) verkettet werden, wird der Raum der Bilder selbst vertikal in die Tiefe geöffnet, d.h. die in der Malerei (und anderen Flächenbildern) irreversibel abgeschatteten Objekte bekommen ihre Dingräumlichkeit (ihre Rückseite) zurückerstattet. Der Protagonist dringt in die „profondeur vertigineuse du monde de Van Gogh“[49] ein. Der Bildraum wird in einem ganz direkten Sinn in ein Raumbild, ein interaktiv betretbares Bild umgewandelt: Das zeigt sich nicht allein, aber besonders deutlich in Abb. 16 – da der Protagonist zudem noch im Bild einen Schatten wirft; der dunkle Fleck am Fuß der linken, großen Platane ist eben dieser.
Aber Kurosawas Inszenierung ist noch komplexer. Nicht nur thematisiert er Fläche und Raum, auch anderweitig ist der Vergleich zwischen Abb. 14 und Abb. 15 aufschlussreich: Alle von Van Gogh in dem Gemälde dargestellten Personen wurden entfernt[50] – obwohl der Maler gerade in diesem Bild auf sie besonderen Wert legte: „The idea that figures, however small, can determine the character of a composition was one which Van Gogh had learnt from the Art of Japanese Prints [...].“[51] Wieder zeigt sich hier eine bedachte Auswahl der Bilder durch Kurosawa, welche die wechselseitigen Einflussnahmen westlicher und japanischer Bildtraditionen unterstreicht und darüber hinaus im Eingriff in das Bild Van Goghs auch eine Unterwerfung der einzelnen Bilder unter die Logik des Films: Medien transformieren andere Medien, wenn sie sie darstellen, sie bilden sie niemals 1:1 ab. Im Unterschied zu Kunstvermittlungs-Fernsehsendungen, die uns die ‚Wahrheit‘ des ‚Werkes‘ durch eine inszenierte Pseudo-Transparenz tendenziell autoritär vermitteln wollen[52], geht es Kurosawa nicht um eine – vielleicht sowieso unmögliche – Werkvermittlung. Ebenso wie Van Gogh die japanischen Holzschnitte zu seinem Zweck filterte und transponierte, so unterwirft Kurosawa die Bilder Van Goghs nun seinerseits einer Transformation und Transposition – und legt so auch den immer schon transponierenden Charakter medialer Repräsentationen von Medien offen.
Und gerade diese Inszenierung der Differenz zwischen Bild und Reproduktion unterstreicht – selbst wenn sie nicht mit digitalem, sondern analogem Videocompositing gemacht worden ist – etwas, das gerade zu der Zeit als DREAMS in die Kinos kam, virulent war: Die Anwendung digitaler Verfahren zur Retusche war in der Frühphase der populären Ausbreitung digitaler Bildbearbeitungstechniken Hauptdiskussionsgegenstand – kurz vor DREAMS[53] erschien im Februar 1990 Adobe Photoshop 1.0. Die Diskussion hockte auf einen schon länger schwelenden Horror vor den Potentialen digitaler Retusche auf – bereits 1982 hatte die Zeitschrift National Geographic einen Eklat ausgelöst, als sie auf einem Titelblatt der Gestaltung halber die Pyramiden von Gizeh näher aneinander rückte. Man befürchtete den Verlust des Wirklichkeitsbezuges fotografisch aussehender Bilder durch solche und andere ‚Manipulationen‘, z.B. die Entfernung missliebiger oder die Schönung zu liebender Personen etc.[54] Dabei wurde – gefördert durch solche Metaphern wie die ‚Paletten‘ bei Photoshop – sehr bald der Vergleich zwischen den Verfahren der Bildbearbeitung mit der Malerei lanciert. Schon 1992 hatte W. J. Mitchell in seinem einflussreichen Buch The Reconfigured Eye die seitdem oft unreflektiert wiederholte These aufgestellt, die leichte Manipulierbarkeit des digitalisierten Bildes verwische die Grenze zwischen Fotografie und Malerei,[55] da das Bild Pixel für Pixel bearbeitet oder konstruiert werden kann – scheinbar wie in der Malerei – und so der Künstler nicht beschränkt bleibt auf die Auswahl eines Ausschnitts und evtl. die Nachbearbeitung eines Bildes, das sich ohne sein Zutun durch die Tätigkeit des Lichts (der Sonne...) selbst aufgezeichnet hat.[56] Unlängst noch behauptete Rainer Metzger zur Digitalisierung und Bildbearbeitung: „Das Ende des Fotos bedeutet die Rückkehr von Prinzipien der Malerei.“[57] So pries auch der Verlag Schirmer und Mosel, in seiner Ankündigung von Jörg Sasses Fotobuch Arbeiten am Bild den, bekanntlich mit der elektronischen Bildbearbeitung von gefundenen Fotos arbeitenden, Künstler mit den Worten: „Aus dem Photographen ist so etwas wie der erste elektronische Maler geworden.“[58] Insofern kann die Differenz zwischen Van Goghs Urbild und Kurosawas Abbild gerade im Zusammenhang mit der Darstellung von Malerei-als-Welt als ahnungsvoller Vorgriff auf das befürchtete und behauptete ‚Malerei-Werden‘ der weltvergewissernden Bilder der Fotografie verstanden werden.
In diesem Lichte kann auch die vorletzte Einstellung der Sequenz gelesen werden. Der Protagonist, Kurosawas alter ego, läuft von rechts durch einen weiteren Ausschnitt eines Gemäldes – es handelt sich dabei ausgerechnet um das Bild Landschaft mit Wagen und Zug in der Ferne (Juni 1890)[59], einem der ganz wenigen Gemälde Van Goghs auf dem ein Zug dargestellt wird, was nach den obigen Überlegungen zur Rolle der Eisenbahn kaum verwundert. Allerdings ist das Bild so ausgeschnitten, dass der Zug gar nicht zu sehen ist.
Zunächst ist die Einstellung sehr nah gefilmt. Der Protagonist steht vor abstrakt anmutenden, stark vom Pinselduktus gekennzeichneten Farbflächen, die sich in der Folge der Sequenz – in dem Maße, in welchem die Kamera herauszoomt – als Elemente eines Bauernhauses erweisen (Farbtafel III). Eine gewisse Ähnlichkeit zu Farbtafel I ist unübersehbar. Hier wie dort geht es um den Aufbau des Bildes aus farbigen Grundelementen – ist es ein Zufall, dass der Protagonist ein kariertes Hemd trägt?[60] Waren es in Abb. 6 jedoch die reguläreren, angemalten Bausteine, aus denen die Brücke verfertigt wurde, sind es hier stark pastos wirkende Farbfelder, zumal vorwiegend in den Farben gelb, blau, rot und grün – also den Grundfarben sowohl der subtraktiven (Malerei, Fotografie), als auch der additiven (Fernsehen, Video, Computermonitore) Farbmischung.
Dieser Verweis auf einige der bildbestimmenden Parameter (Bildelemente und Grundfarben) wird ergänzt durch die Inszenierung des Pinselduktus. Dieser ist konventionell als Handschrift des Künstlers und somit als Substitut der Signatur lesbar, bei medientheoretisch präziserer Betrachtung vor allem aber als Index, also im Sinne von Peirce als über Kausalität signifizierendes Zeichen. Die Unterschrift als grafische Form ist zunächst uninteressant, entscheidend ist sie als (notwendig konventionalisiertes und insofern stets auch fälschlich zitierbares[61]) Zeugnis, dass der Unterzeichnende anwesend war. In diesem Sinne ist der Pinselduktus an der Malerei das einzig indexikalische Moment: Der Duktus bezeichnet den Maler, der – frei nach Barthes – dagewesen sein muss, damit ein Pinselduktus überhaupt ist und nicht vielmehr nicht (und so wird er in modernen Paint-Programmen simuliert, um einen bestimmten ‚Style‘ vorzutäuschen). Insofern ist gerade der Duktus jenes Moment der Malerei, was diese mit der Fotografie verbindet.[62] D.h. mit der Inszenierung des Pinselduktus, dem Indexikalischen der Malerei, wird explizit auf jenes Prinzip verwiesen, mit welchem – so glaubte man um 1990 vorwiegend – die digitalen Bilder brechen und sie daher mit der Malerei verbinden; was aber mit dem Hinweis auf die Indexikalität auch der Malerei in derselben Szene wiederum unterlaufen wird. Wie dem auch sei: Der Protagonist läuft links aus dem Bild heraus.

Sequenz 7 8‘58: Nocheinmal: Raum und Fläche

In der nächsten Einstellung kommt der Protagonist von rechts ins Bild. Er läuft durch eine jetzt wieder fotografisch aufgenommene Wiese. Er blickt nach rechts und sieht Van Gogh auf einem Feldweg zwischen blendend gelben Kornfeldern zum Horizont, über dem sich ein klarer blauer Himmel erhebt, verschwinden. In dem Moment, in dem Van Gogh den Horizont erreicht, fliegen mit lautem Geschrei viele – sehr synthetisch anmutende – schwarze Krähen auf (Abb. 16). Das buchstäbliche Verschwinden Van Goghs in der Tiefe des Raums wird hier kontrastiert mit den Krähen, die wie kleine schwarze Risse in der Bildoberfläche wirken, denn die Krähen selbst haben keinerlei innere Kontur und Plastizität. Nochmals wird – quasi als Bekräftigung der in Sequenz 6 vorgenommenen Verschiebung vom Bildraum zum Raumbild – der Gegensatz von Fläche und Tiefe (ein zentrales Thema Kurosawas) iteriert.

Sequenz 8 9‘31: Coda (siehe Sequenz 1): Die Rahmung, das Archiv und das Museum

Der Übergang zur letzten Einstellung der Sequenz wird nochmals durch das Zuggeräusch unterstrichen. Der Protagonist ist wieder im Museum, steht vor dem Getreidefeld mit Raben und zieht ergriffen seine Mütze (Abb. 17). Diese Demutsgeste im Kontext jener Institution – dem Museum –, welche Objekte durch Archivierung[63], Dekontextualisierung und die Erzeugung auratischer Distanz erst mit dem Kultwert der Kunst ausstattet,[64] kann als fast schon ironische Geste verstanden werden, da Van Gogh bekanntlich museale Weihen zu Lebzeiten versagt blieben. Diese allerletzte Sequenz wiederholt die allererste durch Rekurs auf den musealen Raum. So thematisieren die beiden Episoden, welche die ganze Episode einschließen und rahmen, selbst nicht nur die Bildrahmung (s.o. zu Sequenz 1 und hier Abb. 19, in welcher wieder der üppige goldene Rahmen das Getreidefeld mit Rahmen einschließt und so nachgerade penetrant den Wert des ‚Werks‘ unterstreicht), sondern auch die diskursive, institutionelle und architektonische Rahmung, durch die ‚geniale‘ Künstler wie Van Gogh – oder Kurosawa – retrospektiv erst konstruiert werden. Vielleicht ist dies der ‚dekonstruktivste‘ Moment der gesamten Episode, insofern Kurosawa am Beispiel des paradigmatisch erst verkannten, dann aufgrund von Institutionen wie der Kunstkritik und des Museums unbezahlbaren ‚Genies‘, eben Van Gogh, die diskursiven, institutionellen und architektonischen Rahmungen, die auch einen Text wie den vorliegenden allererst ermöglichen, selbst (unbewusst?) thematisiert. Auch Kurosawa wird vom Rahmen des musealisierten Kanons eingerahmt: Er muss auf jene kanonisierten, in unzähligen Katalogen reproduzierten Bilder Van Goghs zurückgreifen, um künstlerische ‚Authentizität‘ und ‚Genialität‘ überhaupt erst andeuten zu können – und stellt deswegen das Getreidefeld mit Raben so in den Mittelpunkt, obwohl es, wie neuere Forschungen zeigen, wohl nicht das letzte Bild vor Van Goghs Selbstmord darstellt...

Fazit: Die Frage nach den Medien

Festzuhalten bleibt: Kurosawa ist ein Regisseur, der sich offenkundig intensiv mit Bildmedien und ihren Formen auseinandergesetzt hat – über die subjektiven und autobiographischen Verweise[65] hinaus. Ob alle der hier diskutierten Anschlüsse ‚intendiert‘ waren – manche waren es sicher, andere sicher nicht, sie legen eher ein ‚(inter)mediales Unbewusstes‘ frei – tut nichts zur Sache. Deleuze hat schon 1985, also 5 Jahre vor Erscheinen von DREAMS, auf die trans-subjektiven Aspekte von Kurosawas Arbeit hingewiesen. Auch in der hier vorgeschlagenen Lektüre der Krähen-Episode ging es um „das Träumerische [DREAMS !, J.S.] Kurosawas, das die halluzinatorischen Visionen nicht bloß zu subjektiven Bildern, sondern vielmehr zu Denkfiguren werden läßt, die die Gegebenheiten einer transzendenten Fragestellung offenlegen, insofern sie zur Welt, zum Innersten der Welt gehören.“[66] Die Visionen, Denkfiguren in der diskutierten Episode legen – nach Sequenz 1: Rahmung; Sequenz 2: Malerei, Rasterung, Sequenz 3: Malerei, Farbe; Sequenz 4: Film; Sequenz 5: Fotografie/Film; Sequenz 6/7: Malerei, virtueller Raum, Index; Sequenz 1 und 8: Rahmung, Archiv, Museum – die Fragestellung nach den Medien offen. Und diese Fragestellung ist nicht nur transzendent (was auch immer das bedeuten soll[67]), sondern vielleicht sogar transzendental, denn die Medien sind das ‚Innerste der Welt‘, insofern sie ‚Welt‘ allererst eröffnen oder verschließen. Die Krähen-Episode dreht sich in der Inszenierung der Eröffnung einer Welt durch Bilder (Medien) ja um nichts anderes. Und diese Inszenierung zeigt auch: Mit den digitalen Medien wird (scheinbar, angeblich) der Raum des Bildes selbst zur Welt und nach diesem Umbruch die Welt zu einer anderen... Man kann nicht umhin zu vermuten, dass Kurosawa dies geahnt hat.

[1] Es gibt auch eine fast identische Version vom April 1888, bei der hier gezeigten handelt es sich aber eindeutig um jene vom März 1888.
[2] Die Episode heißt Die Krähen; in den meisten (französischen wie deutschen) Katalogen wird in Zusammenhang mit Van Goghs Gemälde aber von „Raben“ gesprochen. Krähen und Raben sind jedoch verschiedene Arten, d.h. es hat sich wahrscheinlich irgendwo ein Übersetzungsfehler eingeschlichen. Hier sei nur auf das Problem hingewiesen; eine philologische Aufarbeitung desselben wird jedoch nicht geliefert.
[3] Lange Zeit wurde das Bild für das letzte Gemälde Van Goghs gehalten, angeblich nur wenige Tage vor seinem Freitod verfertigt. Daher fungierte es oft als das Emblem Van Goghs, vgl. dazu Pollock, Griselda: „Artists Mythologies and Media Genius, Madness and Art History“, in: Philip Hayward (Hrsg.): Picture This: Media Representations of Visual Art & Artists, London 1988, S. 75-113, hier S. 95f. Jedenfalls ist Kurosawas Wahl alles andere als beliebig.
[4] Vgl. Stratton, M.: „Akira Kurosawa‘s DREAMS: Creating an Unconscious Autobiography“, in: Arts in Psychotherapy, Vol. 28, Nr. 2 (2001), S. 103-108.
[5] Vgl. Goodwin, James: Akira Kurosawa and Intertextual Cinema, Baltimore/London 1994, S. 220/221. Dass sich Kurosawa in DREAMS gerade auf Van Gogh bezieht dürfte neben der Tatsache, dass Van Gogh die „paradigmatic figure of artist“ (Pollock: „Artist Mythologies“, S. 85) darstellt auch darin zu finden sein, dass sich Van Gogh intensiv mit japanischer Kunst beschäftigt hat, dazu s.u. und vgl. generell Kodera, Tsukasa: „Japan as Primitivist Utopia. Van Gogh’s Japonisme Portraits“, in: Simiolus 14 (1984), S. 189-208.
[6] Bisher hat die Sequenz in der einschlägigen Literatur keine Würdigung erfahren, vgl. Dalle Vacche, Angela: Cinema and Painting. How Art is Used in Film, Austin 1996 oder Peucker, Brigitte: Incorporating Images. Film and the Rival Arts, Princeton, NJ 1995.
[7] Vgl. zur Herausbildung der Konstellation ‚Virtuelle Realität‘, ihrem populären Auftauchen um 1989 und den damit verbundenen Phantasmen Verf.: Das Netz und die Virtuelle Realität. Zur Selbstprogrammierung der Gesellschaft durch die universelle Maschine, Bielefeld 2004, S. 152-275.
[8] Quéau, Philippe: „Die virtuelle Simulation: Illusion oder Allusion? Für eine Phänomenologie des Virtuellen“, in: Stefan Iglhaut/Florian Rötzer/Elisabeth Schweeger (Hrsg.): Illusion und Simulation. Begegnung mit der Realität, Ostfildern 1995, S. 61-70, hier S. 61.
[9] Vgl. Grau, Oliver: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. Visuelle Strategien, Berlin 2001.
[10] Galbraith, Stuart IV: The Emperor and the Wolf. The Lives and Films of Akira Kurosawa and Toshiro Mifune, New York 2001, S. 605 und 610. Allerdings scheinen die Spezialeffekte für Die Krähen nicht von ILM gemacht worden zu sein, s.u.
[11] Corominas, Aurora: „The Artist’s Gesture. An Initial Approach to the Cinematic Representation of Vincent van Gogh‘s Pictorial Practice“, URL: www.iua.upf.es/formats/formats3/cor_a.htm, 12.8.2004.
[12] Vgl. dazu Glaubitz, Nicola/Schröter, Jens: „Quälende Kuben und beruhigende Tableaus. Fragmente einer Diskursgeschichte des Raum- und des Flächenbildes“, in: Sprache und Literatur, Jg. 35, Nr. 93 (2004), S. 33-63.
[13] Die folgenden Zeitangaben der Einstellungen beziehen sich auf den Beginn der Krähen-Episode (kurz vor Beginn des entsprechenden Titels) als Nullpunkt. Die Längen der Einstellungen sind als ungefähre Werte aufzufassen.
[14] Vgl. Bazin, André: „Painting and Cinema“, in: ders.: What is Cinema?, Vol. 1, Berkeley 1967, S. 164-169, insb. S. 166.
[15] Esposito, Elena: „Illusion und Virtualität. Kommunikative Veränderungen der Fiktion“, in: Werner Rammert (Hrsg.): Soziologie und künstliche Intelligenz, Frankfurt a.M. 1995, S. 187-213, hier S. 202.
[16] Die viel genauer in dem Beitrag von Nicola Glaubitz analysiert wird.
[17] Zu dieser Parallele, die man allerdings nicht zu weit treiben sollte, vgl. Brüderlin, Markus: „Von der analytischen Malerei zum digitalen Impressionismus“, in: Claude Monet ...bis zum digitalen Impressionismus, Fondation Beyeler, Basel, 28.3.-4.8.2002 (Ausstellungskatalog), S. 191-225.
[18] Vgl. Vincent van Gogh. Paintings, hrsg. v. Evert van Uitert/Louis van Tilborgh/Sjraar van Heugten, Katalog zur Van Gogh-Ausstellung, Rijksmuseum Vincent van Gogh 30.03.-29.7.1990, Amsterdam/Rom 1990, S. 96.
[19] Ebd., S. 100.
[20] Blau, Gelb und ein Ocker-Rot waren die bevorzugten Farben Van Goghs.
[21] Schon in Dodeskaden (Japan 1970) hatte Kurosawa prä-filmische Gegebenheiten kolorieren lassen.
[22] Deleuze, Gilles: Das Bewegungsbild. Kino 1, Frankfurt a.M. 1989, S. 254.
[23] Zu Point-of-View und Subjektivität im Kino vgl. Branigan, Edward: Point of View in the Cinema. A Theory of Narration and Subjectivity in Classical Film, Berlin u.a. 1984, S. 73-121.
[24] Vgl. Galbraith: The Emperor, S. 607 ist ebenfalls der Ansicht, dass der autobiographische Charakter des Films nicht überbetont werden sollte.
[25] Ich konnte leider nicht feststellen, ob diese oder eine ähnliche Äußerung von Van Gogh wirklich gemacht worden ist.
[26] Und nicht zufällig spielt diese Szene auf einem Kornfeld mit Garben, zeigt doch eine der letzten Zeichnungen Van Goghs (Garben vom Juli 1890) exakt eine solche Szene, d.h. hier wird erneut auf den kurz bevorstehenden Tod Van Goghs angespielt, vgl. Vincent van Gogh. Drawings, hrsg. v. Evert van Uitert/Louis van Tilborgh/Sjraar van Heugten, Katalog zur Van Gogh-Ausstellung, Rijksmuseum Kröller-Müller 30.03.-29.7.1990, Otterlo/Rom 1990, S. 329. Vgl. auch Hulsker, Jan: The New Complete Van Gogh. Paintings, Drawings, Sketches, Amsterdam u. a. 1996, S. 483.
[27] Zum Alternieren bei Kurosawa, vgl. Deleuze: Bewegungsbild, S. 257.
[28] Der maschinelle Charakter des Künstlers wird insbesondere in der amerikanischen Nachkriegskunst immer stärker in den Vordergrund treten, vgl. dazu Jones, Caroline A.: Machine in the Studio: Constructing the Postwar American Artist, Chicago 1996; und am Beispiel bestimmter Formen künstlerischer Fotografie Verf.: „The Ephemeral, the Provisional ... Anmerkung zur Fotografie von Garry Winogrand und William Eggleston“, in: Immanuel Chi/Susanne Düchting/Verf. (Hrsg.): Ephemer_Temporär_Provisorisch, Essen 2002, S. 197-218. 
[29] Auch wenn gelegentlich die Kamera nostalgisch mit den manuellen Techniken identifiziert wird. So z.B. besonders einflussreich 1948 von Alexandre Astruc: „The filmmaker-author writes with his camera as a writer writes with his pen“ (Astruc, Alexandre: „The Birth of a New Avantgarde: La Caméra-Stylo“, in: Peter Graham (Hrsg.): The New Wave, Garden City 1967, S. 22-24, hier S. 23).
[30] Vgl. Loiperdinger, Martin: „Lumières ANKUNFT DES ZUGS. Gründungsmythos eines neuen Mediums“, in: KinTop, Nr. 5 (1996), S. 37-70.
[31] Zum Algorithmus in der Malerei, vgl. Kittler, Friedrich: Kunst und Technik, Basel 1997.
[32] So wie Kurosawa gerade noch die Ausbreitung digitaler Bildtechnologie erlebte, so war Van Gogh Zeitgenosse der Ausbreitung der – in der diskutierten Sequenz zitierten – Eisenbahn. Diese ist in den Werken zahlreicher Maler des neunzehnten Jhs. Ikone der Moderne (z.B. bei William Turner, vgl. dazu Gage, John: Turner: Rain, Steam and Speed, London 1972) – bei Van Gogh, der den Modernisierungsprozessen außerordentlich skeptisch gegenüberstand (vgl. Zemel, Carol: „The ‚Spook‘ in the Machine. Van Gogh’s Pictures of Weavers in Brabant“, in: The Art Bulletin 67 (1985), S. 123-137), taucht sie bis auf eine signifikante und von Kurosawa sicher vorsätzlich genutzte Ausnahme (s.u.) nicht auf.
[33] Béla Balázs: Der Film. Werden und Wesen einer neuen Kunst, Wien 1972, S. 24. Vgl. auch Heath, Stephen: Questions of Cinema, London 1981, S. 183-185, der die reflexive Thematisierung dieses Phänomens in Genres wie dem Horrorfilm, der sich ausschließlich um die Zerstückelung des Körpers dreht, anschneidet. Andernorts wurde der Ausschnitt der Fotografie explizit mit der psychoanalytischen Theorie des Partialobjekts und mit dem Phantasma des zerstückelten Körpers in Verbindung gebracht, vgl. Metz, Christian: „Foto, Fetisch“, in: Herta Wolf (Hrsg.): Diskurse der Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Bd. 2, Frankfurt a.M. 2003, S. 215-225.
[34] Deren Entmachtung sich besonders eklatant in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Portrait-Malerei zeigte – also genau jenem Genre in dem Van Gogh sich (laut Film) bewegte, als er sich das Ohr abschnitt: „Ich habe gestern versucht, ein Selbstportrait zu vollenden. Das Ohr wollte mir nicht so recht gelingen, da habe ich es abgeschnitten und weggeworfen.“ Zur Verdrängung der Portraitmalerei durch die Fotografie im 19. Jahrhundert am Beispiel von Paris, vgl. McCauley, Elizabeth Anne: Industrial Madness. Commercial Photography in Paris, 1848-1871, New Haven/London 1994.
[35] Tholen, Georg Christoph: Die Zäsur der Medien. Kulturphilosophische Konturen, Franfurt a.M. 2002, S. 7.
[36] Vgl. Batchen, Geoffrey: „The Naming of Photography“, in: History of Photography, Vol. 17, No. 1 (1993), S. 22-32, hier S. 24.
[37] Deleuze: Bewegungsbild, S. 254. Dass Kurosawa (auch) ein Regisseur der Sonne ist, wie Van Gogh ein Maler der Sonne war, zeigt sich schon in NORA INU (Japan 1949), wo vielleicht zum ersten Mal die Kamera auf die Sonne gerichtet wurde – zuvor war dies unüblich, vgl. Kurosawa, Akira: So etwas wie eine Autobiographie, München 1986, S. 220 (dort allerdings unter Bezugnahme auf RASHOMON (Japan 1950)). Mit Dank an Nicola Glaubitz.
[38] Vgl. Crary, Jonathan: Techniques of the Observer. On Vision and Modernity in the Nineteenth Century, Cambridge, MA 1990, S. 107-110. Für den hier verfolgten – eher diskursanalytischen – Argumentationsgang ist die Frage, ob Plateaus Überlegungen im Lichte heutiger neurophysiologischer Erkenntnisse noch gültig sind, schlicht irrelevant, vgl. dazu Anderson, Joseph/Anderson, Barbara: „Motion Perception in Motion Pictures“, in: Stephen Heath/Theresa de Lauretis (Hrsg.): The Cinematic Apparatus, London 1980, S. 76-95.
[39] Crary: Techniques, S. 111.
[40] Wie bekanntlich schon Walter Benjamin betont hatte, ist die im 19. Jh. intensiv diskutierte Frage, ob die Fotografie (und später der Film) eine Kunst sei, zweitrangig gegenüber derjenigen danach, „ob nicht durch die Erfindung der Photographie der Gesamtcharakter der Kunst sich verändert habe“ (Benjamin, Walter: „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ [zweite Fassung], in: ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M. 1980, Bd. I.2, S. 471-508, hier S. 486).
[41] Vgl. Cotta Vaz, Mark/Duignan, Patricia Rose: Industrial Light & Magic: Into the Digital Realm, New York 1996, S. 172-176. Dort wird betont, dass Industrial Lights & Magic die Spezialeffekte für die Episoden 1 und 6 in DREAMS gemacht habe – also nicht für die Krähen. Laut www.imdb.de, 26.08.2004 hat auch eine gewisse Produktionsfirma „Den Films“ an den Effekten für DREAMS mitgearbeitet. Manuel Alducin, ein Kenner der Special Effects-Szene, dem sehr gedankt sei, schrieb mir in einer E-Mail von 26.08.2004: „I’m guessing Den Films is/was some sort of VFX [Visual Effects] or CG [Computer Graphics] facility in Japan. The idea was after checking the IMDB credits where they are listed as compositing technology. [...] Back in those days digital compositing was fairly new and ILM, though they had digital capabilities, still did mostly optical compositing. I’m guessing, from what you described [die Krähen-Episode], that they had some early video compositing systems. Checking their credits it seems Dreams was the only film they worked on, so maybe they were assembled in house by the production. I’m not sure how to contact them, seems they are long gone. [...] The film has several credits for Den Films Special Effects, and see if you can find a reference in Japan.“ Leider waren diesbezügliche Versuche bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung des vorliegenden Textes erfolglos.
[42] Aumont, Jacques: „Projektor und Pinsel. Zum Verhältnis von Malerei und Film“, in: montage/av, 1.1 (1992), S. 77-90, hier S. 80f.
[43] Ich konnte nicht herausfinden, ob es sich um einen Ausschnitt aus einem Gemälde von Van Gogh handelt oder um eine verfremdete Realaufnahme. Der catalogue raisonée jedenfalls enthält kein vergleichbares Bild.
[44] Im Sinne von Esposito: „Illusion und Virtualität“, S. 202.
[45] Die ersten beiden Einstellungen zeigen Ausschnitte aus den Zeichnungen Straße nach Tarascon, 31.7.-6.8.1888 und Straße in Saintes-Maries, Juli 1888 (vgl. Hulsker: The New Complete Van Gogh, S. 351 und 343).
[46] Vgl. van der Wolk, Johannes: „Van Gogh the Draughtsman at his Best“, in: Vincent van Gogh. Drawings, S. 15-21.
[47] Vgl. Vincent van Gogh. Drawings, S. 322.
[48] Vgl. Vincent van Gogh. Paintings, S. 245. Die anderen verwendeten Gemälde, bis auf das vorletzte (Einstellung 36, 8‘31 s.u.), sind in: Vincent van Gogh. Paintings auf den S. 262, 259, 134, 209 zu finden.
[49] Tassone, Aldo: Akira Kurosawa, Paris 1990, S. 300.
[50] An den Stellen, wo sich die Personen befanden, scheint mir das Bild leicht verschwommen zu sein – es könnte sich dabei um die Spuren der Retusche handeln. Allerdings: Da sich nicht genau eruieren ließ, wie diese Sequenz effekttechnisch hergestellt worden ist, seien die Schlussfolgerungen mit aller Vorsicht zu genießen.
[51] Vincent van Gogh. Paintings, S. 243.
[52] Vgl. kritisch dazu Winter, Gundolf: „Kunst im Fernsehen“, in: Helmut Korte/Johannes Zahlten (Hrsg.): Kunst und Künstler im Film, Hameln 1990, S. 69-80.
[53] DREAMS kam zuerst am 11.5.1990 in Frankreich in die Kinos. In Japan lief der Film am 25.5.1990 an. Daten laut URL: www.imdb.com, 16.8.2004.
[54] Vgl. Verf.: „Das Ende der Welt. Analoge vs. digitale Bilder – mehr und weniger ‚Realität‘?“, in: Verf./Alexander Böhnke (Hrsg.): Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum? Zur Theorie und Geschichte einer Unterscheidung, Bielefeld 2004, S. 335-354.
[55] Vgl. Mitchell, W.J.: The Reconfigured Eye, Cambridge, MA/London 1992, S. 7 und 30. Unlängst unreflektiert wiederholt von Hemken, Kai-Uwe: „Von Sehmaschinen und Nominalismen. Anmerkungen zur digitalen Photographie von Andreas Gursky und Thomas Ruff“, in: Monika Steinhauser (Hrsg.): Ansicht Aussicht Einsicht, Düsseldorf 2000, S. 29-39, hier S. 36.
[56] Vgl. Lüdeking, Karlheinz: „Pixelmalerei und virtuelle Fotografie. Zwölf Thesen zum ontologischen Status von digital codierten Bildern“, in: Yvonne Spielmann/Gundolf Winter (Hrsg.): Bild – Medium – Kunst, München 1999, S. 143-148, der streng zwischen „hergestellten“ und „verursachten“ Bildern unterscheidet, bei ersteren – wie der Malerei – einen „nahezu grenzenlose[n] Spielraum von Möglichkeiten“ sieht, während bei letzteren – vor allem Fotografien – von „darstellerische[r] Freiheit [...] keine Rede sein“ könne. Digital codierte Bilder können beiden Modi entsprechen: „Ihr Status gleicht entweder dem von Gemälden oder dem von Fotografien“. So dass gilt: „Wer einen Computer zur Gestaltung einer Bildfläche benutzt, arbeitet unter denselben Bedingungen wie ein Maler“.
[57] Metzger, Rainer: „Medium und Methode, Mechanik und Modell. Die M-Fragen der Fotografie“, in: Frame, Nr. 11 (2002), S. 90-93, hier S. 92.
[58] Unter: http://www.schirmer-mosel.de/TitelDetailEinWKE.php3?1822, 13.8.2004. Vgl. Sasse, Jörg: Arbeiten am Bild, hrsg. von Andreas Keul, München/Paris/London 2001.
[59] Vgl. Hulsker: The New Complete Van Gogh, S. 463.
[60] Immerhin ließ sich Van Gogh in einem Brief an Albert Aurier (mutmaßlich vom 12. Februar 1890) über die „hübschen karierten schottischen Stoffe“ aus (vgl. Erpel, Fritz (Hrsg.): Vincent Van Gogh, Sämtliche Briefe, Bd. 5, Bornheim-Merten 1985, S. 328).
[61] Vgl. Derrida, Jacques: „Signatur, Ereignis, Kontext“, in: ders.: Randgänge der Philosophie, Wien 1988, S. 291-314.
[62] Vgl. Verf.: „Das Malen des Malens. Malerische Darstellungen des Malprozesses von Vermeer bis Pollock“, in: Kritische Berichte, Nr. 1 (1999), S. 17-28.
[63] Die Debatten um das museale Archiv sind umfänglich und komplex – es sei nur darauf hingewiesen, dass sich dem ca. Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Museum als materiellem Archiv bald schon das ‚imaginäre Museum‘ (Malraux) durch die Fotoreproduktionen und neuerdings die Datenbank als elektronisches Archiv hinzugesellte. Vgl. Foster, Hal: „Das Archiv ohne Museen“, in: Herta Wolf (Hrsg.): Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Bd. 1, Frankfurt a.M. 2002, S. 428-457.
[64] Vgl. O‘Doherty, Brian: Inside the White Cube. The Ideology of the Gallery Space, Santa Monica/CA 1986.
[65] Auf die sich z.B. Sato, Tadao: „Träumereien“, in: Du. Die Zeitschrift der Kultur, Nr. 8 (1990), S. 99, 103 oder Yoshimoto, Mitsuhiro: Kurosawa. Film Studies and Japanese Cinema, Durham, NC, S. 358-363 konzentrieren.
[66] Deleuze: Bewegungsbild, S. 256, Hervorhebung J.S.
[67] Vgl. Deleuze, Gilles: Cinema 1. L’image mouvement, Paris 1983, S. 258/259: „D’où l’onirisme de Kurosawa, tel que les visions hallucinatoires ne sont pas simplement des images subjectives, mais plutôt des figures de la pensée qui découvre les données d’une question transcendante en tant qu’elles appartiennent au monde, au plus profond du monde [...].“