Jens Schröter



Es ist ganz schwer, überhaupt sichtbar zu werden ...


Anmerkungen zu den neuen Arbeiten von Peter Zimmermann.[1]



Sieht man die neuen Arbeiten von Peter Zimmermann zum ersten Mal (s. z. B. Abb. 1–3), so stellt sich Irritation ein. Assoziationen zur informellen Malerei und zu anderen, stärker geometrischen Formen der Abstraktion drängen sich auf. Gegenüber den strengen, konzeptuellen Arbeiten wie Temporäre Architektur/Präsentation von Schachteln (1993) wirken diese Bilder von Format und Hängung und erst recht von ihrem Anblick her konventionell, fast dekorativ.

Die mit Epoxidharz, in dem Farbpigmente gelöst sind, gegossenen, geradezu geschichteten Bilder basieren aber auf einem aufwendigen Herstellungsprozess, dessen Grundidee auf die Arbeit Remix zurückgeht, die 1995 in The Agency, London, gezeigt wurde. Das Bildfile einer ‚Posterwall’-Arbeit wurde auf einer Diskette nach London geschickt, wo die Daten neu ”abgemischt” werden sollten, doch beim Öffnen der Datei trat ein Fehler auf. Das deformierte File wurde in der Größe 6 x 2 m ausgedruckt und quasi als ‚automatischer Remix’ des ursprünglichen Bildes ausgestellt.[2] In ähnlicher Weise geht Zimmermann in seinen neuen Arbeiten vor: Gescannte Ausschnitte aus eigenen älteren Arbeiten, aber auch gefundenes Bildmaterial aus dem Internet, Fernsehen oder anderen Informationsmedien unterzieht er einer intensiven Nachbearbeitung mit Adobe Photoshop. Dabei werden verschiedene Filter von Zimmermann eingesetzt – ohne dabei einer strengen Systematik zu folgen – und die Bilder so weit verfremdet, bis ein (für den Künstler befriedigendes) Resultat erzielt ist. Das Ergebnis wird auf Folie gedruckt, auf die Leinwand projiziert und dort nach der Abzeichnung der Umrisse schrittweise mit dem Epoxidharz gegossen. Bei komplizierteren Formen wird das Bild auch mit einem Schneideplotter ausgedruckt, die Masken werden aufgeklebt und dann wird das Bild gegossen.

Die zunächst fast befremdende Idee, computerbearbeitete Bilder in die Malerei zurückzuübertragen, zeigt, dass die scheinbar so malerischen und dekorativen neuen Arbeiten Zimmermanns als eine Auseinandersetzung mit den Bildpotentialen der universellen Maschine, des Computers, zu verstehen sind. Im Folgenden möchte ich versuchen, diese intermediale[3] Auseinandersetzung anhand von vier Aspekten (Bildschirmbild/gemaltes Bild; Image Processing und die Logik des Filters; Abstraktion: Kunst und Technik; Logik der Selektion und digitales Archiv) zu bestimmen.


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Traditionelle – an der Malerei orientierte – Bildbegriffe können die Potentiale des Computerbildes nicht angemessen beschreiben: Dessen Andersartigkeit liegt zunächst darin, dass es sich um ein Zeilen-Rasterbild handelt, also ein Bild, welches Zeile für Zeile von einem Kathodenstrahl auf einen Schirm geschrieben wird. Dieses Bild hat also mit dem Film- und auch dem Videobild gemeinsam, unter Nutzung der im 19. Jahrhundert erkannten Trägheit und Täuschbarkeit des vormals als Erkenntnisorgan (auch der Künster!) hochgepriesenen Auges zu operieren.[4] Anders als beim Bild der Fotografie und der Malerei wird die scheinbare Kopräsenz aller Flächenpunkte nur durch die Überrumpelung unseres Sehens erzielt. In Zimmermanns Bild mit dem bezeichnenden Titel o.k.Raster (Abb. 1) wird nicht nur die aufgerasterte Struktur eines Monitors zitiert, sondern auch die gewählten Farben (Blau, Grün, Rot und Gelb, Purpur, Cyan) sind genau die je drei Grundfarben der für Monitore typischen additiven und der für die Malerei geltenden subtraktiven Farbmischung. Das intermediale Konzept Zimmermanns wird in diesem Bild exemplarisch verdeutlicht – und durch die sich überlagernden Punkte wird gezeigt, was wir auf Monitoren und Fernsehgeräten gerade nicht sehen können...


Computerbilder unterscheiden sich aber auf tieferer Ebene von den analogen Bildern des Films und des Videos, denn sie sind die ersten Bilder auf der Basis digitaler Medien: ”Im Gegensatz zum halbanalogen Fernsehen [oder Video, J. S.] sind daher nicht nur die Zeilen, sondern auch die Spalten eines Bildes in letzte Elemente aufgelöst. Die Menge dieser sogenannten Pixel bildet also eine zweidimensionale Matrix, die jedem einzelnen Bildpunkt eine numerisch bestimmte Mischung der drei Grundfarben Rot, Grün und Blau zuordnet. Diese Diskretheit oder Digitalität erstens der geometrischen Örter und zweitens der chromatischen Werte macht all die Zauberkunststücke möglich, die die Computergraphik von Film und Fernsehen unterscheiden. Es ist zum erstenmal in der Geschichte optischer Medien möglich, das Pixel in der achthundertneunundvierzigsten Zeile und siebenhunderteinundzwanzigsten Spalte direkt zu adressieren, ohne seine Vorgänger und Nachfolger durchlaufen zu müssen.”[5] Dass Computerbilder als zweidimensionale Matrix – d. h. als ”array of values”[6] – angeschrieben sind, ermöglicht, sie beliebigen mathematischen Operationen zu unterwerfen – die Filter bei Adobe Photoshop sind nichts anderes als solche Operationen.[7] Zahlreiche bildliche Spezifika der Fotografie oder der Malerei können, sobald sie einmal formalisiert sind, als Filter virtuell nachgebildet werden.[8] Insofern ist es nahe liegend, dass Photoshopeben heißt, wie es heißt, und dass die zahlreichen Menus, aus denen man Filter und andere Tools auswählen kann, ‚Paletten’ genannt werden. Die universelle Maschine Computer hat die Bildpotentiale der ihr vorhergehenden Bildmedien (jedenfalls zu großen Teilen) aufgesaugt: Hartmut Winkler hat auf den ”totalitäre[n] Zug”[9] verwiesen, mit dem der Computer als Universalmedium[10] (zumindest in den ihn begleitenden Utopien) anderen Medien gegenüber auftritt.

Auch Peter Zimmermann benutzte in einem Gespräch mit dem Autor den Begriff ”totalitär” für die sich geradezu imperialistisch ausbreitende Bildschirmwahrnehmung. So gesehen ist Zimmermanns Wiederaneignung des Computerbildes durch die Malerei zwar kein Frontalangriff – der wäre nicht mehr zu gewinnen. Dennoch ist sie ein Akt, der die Logik des Samplings, die es den Computermedien erlaubt, durch Abtastung und Formalisierung (Digitalisierung) fast alle anderen medialen Formen zu schlucken[11], umkehrt und ‚gegen’ das Computerbild richtet. Und dies in doppelter Hinsicht:

Erstens ist Zimmermanns Nutzung des Epoxidharzes für diese Arbeit der intermedialen Wiederaneignung paradox und gerade dadurch konsequent. Durch seine glänzende Glätte und die leuchtenden Farben konnotiert das Material Künstlichkeit, lässt die Bilder wie Prints eines futuristischen Superdruckers erscheinen, um zugleich durch den geschichteten, plastischen Charakter gerade das herauszustellen, was für digitale Medien nur schwer beherrschbar ist: die Materialität der Oberfläche. Normalerweise werden Gemälde fotografiert und diese Fotografien dann eingescannt, um digitale Abbildungen von Malerei zu erhalten: Die Plastizität der Oberfläche geht dabei verloren. Natürlich ist die digitale Beherrschung der malerischen Oberfläche kein prinzipielles Problem: Man kann sich Scanner vorstellen, die die unregelmäßige Oberfläche eines Gemäldes mit einer Strahlung abtasten und so Daten für ein dreidimensionales, virtuelles Modell des Bildes liefern. Aber abgesehen von dem erheblichen Aufwand, den dies bedeutet, wird die Ausgabe dieses Modells in seiner Plastizität äußerst schwierig: auf heute üblichen Monitoren und Druckern wäre dies schlicht unmöglich. Durch die Überführung in die Malerei bekommen die Computerbilder also genau das zurückgegeben, was alle Bilder bei ihrer Überführung in die Virtualität gerade verlieren – Materialität und d. h. auch die materielle Kopräsenz aller Bildpunkte, die Gemälde und Fotografien von Bildschirmbildern unterscheidet: Dieser Reibungsverlust der elektronischen Speicherung und Digitalisierung[12] wird in dem taktilen Objekt Gemälde sichtbar gemacht.

Zweitens kann der (scheinbar) dekorative Charakter der Bilder als Kommentar auf die – für handelsübliche PCs, die unter Microsoft Windows laufen und auf denen folglich auch Adobe Photoshop läuft, charakteristische – Spaltung von schöner, sprich: benutzerfreundlicher, sichtbarer Oberfläche und den selbst unsichtbaren Prozessen in der Tiefe gelesen werden.[13]

Ein Ziel von Zimmermanns Arbeit ist zu zeigen, ”warum Dinge so zustande kommen oder so aussehen wie sie aussehen, obwohl sie auch anders möglich gewesen wären”.[14] In dieser Linie machen seine neuen Bilder auf gewisse Weise die Kontingenz der heutigen Computeroberflächen sichtbar. Das schöne Bild, das uns die Rechner bieten, wird als Trugbild zurückgespiegelt.


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Unter den Schlagwörtern ”digitale Bilder” oder ”Computerbilder” werden oft undifferenziert zwei verschiedene Typen von Bildern versammelt: Dies sind einerseits (z. B. mit Scannern) abgetastete oder gesampelte, d. h. digitalisierte, und andererseits algorithmisch generierte Bilder. Diese beiden Bildtypen haben, bei aller möglichen phänomenalen Ähnlichkeit, verschiedene Genealogien, Funktionen und Implikationen. Insofern Zimmermanns neue Arbeiten auf gescannten, also gesampelten, digitalisierten, Bildern beruhen und er Image Processing und damit Nachbearbeitung durch Filter etc. einsetzt, werde ich im Folgenden – sehr verkürzt – die Vorgeschichte der digitalisierten Bilder und mithin des Image Processing und dessen Funktionen skizzieren.[15]


Bis in die frühen achtziger Jahre waren die Rechenkapazitäten zur Digitalisierung, Speicherung und Bearbeitung von Bildern und die Peripherien wie Scanner oder andere Abtaster noch so kostspielig, dass elektronisch gewonnene, dann digitalisierte und nachbearbeitete Bilder vorwiegend in den eng mit den Belangen der nationalen Sicherheit und des nationalen Prestiges verbundenen und daher hoch subventionierten Bereichen der Spionage- und Weltraumfotografie eingesetzt wurden.

In Vorbereitung des Apollo-Programms, also der bemannten Mondlandung, wurde das Ranger-Programm gestartet. Aufgabe der Ranger-Sonden war, Videobilder von der Mondoberfläche an die Erde zu schicken. Die ersten Ranger-Missionen schlugen jedoch fehl, erst Ranger 7, gestartet am 28. Juli 1964, sendete mit einer neuartigen Vidicon-Röhre Videosignale zur Erde. Dort wurden die Bilder1965 auf Betreiben von Dr. Robert Nathan gegründeten Information Processing Laboratory (IPL)desJet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA digitalisiert und nachbearbeitet. Dazu kam die später so genannte VICAR (Video Image Communication and Retrieval)-Software auf einem IBM 7094 oder IBM 360 zum Einsatz. Ein ganzes Stockwerk des Jet Propulsion Laboratory der NASA wurde von dem Bildbearbeitungsequipment eingenommen.

Recht bald kam man am IPL auf die Idee, die Bildbearbeitungsverfahren auch auf die Verbesserung medizinischer Bilder, zunächst Röntgenaufnahmen, anzuwenden. Schon 1967 stellten Nathan und Robert Selzer ihre Ergebnisse dem National Institute of Health vor, wo man so begeistert war, dass man die Forschung am IPL finanziell stützte. Insbesondere die Korrektur der geometrischen Verzerrungen wurde bald intensiv in der medizinischen Bildverarbeitung, vor allem in der erstmals 1981 klinisch evaluierten Digitalen Subtraktions-Angiographie, eingesetzt, um präzise Diagnosen erstellen zu können.


Es zeigt sich an allen Beispielen aus Spionage, Raumfahrt und auch der Medizin, dass dort das Processing, die Manipulation, gerade Bedingung des referentiellen Bezugs der Bilder war und ist: ”However imagery is obtained, it requires processing and interpretation to convert it into intelligence data. Computers can be employed to improve the quantity and quality of the information extracted.”[16] Dies steht offensichtlich vielen zeitgenössischen Klagen über den Realitätsverlust durch die leichte Veränderbarkeit digitalisierter Bilder diametral entgegen. Daraus kann man aber nicht ableiten, dass die Manipulierbarkeit digitaler Bilder niemals ein Problem darstellt: Im Feld des ”Journalismus” z. B. hat es einige öffentlich stark diskutierte Skandale um teilweise nur leicht digital abgeänderte Bilder gegeben. Weil zum System der Massenmedien ein ”Manipulationsverdacht”[17] gehört, wundert es nicht, dass dort der leichten – und zudem nun dank der benutzerfreundlichen PCs und dem 1990 erschienenen Adobe Photoshop auch jedem Amateur zur Verfügung stehenden – Bearbeitbarkeit digitaler Bilder besonderes Augenmerk eingeräumt wird.


Gegen diese doppelte Herrschaftslogik des Image Processing, einerseits aus einem verrauschten und verzerrten Datenmaterial militärisch, medizinisch oder anderweitig operatives Wissen herauszufiltern (produktive Machtfunktion) oder andererseits Daten tendenziös zu funktionalisieren (repressive Machtfunktion), geht Zimmermann in seiner Arbeit an. Bei ihm dienen die Filter dazu, das gesampelte Datenmaterial zu de-referentialisieren, die Spur seiner Herkunft zu verwischen[18] und es in ein abstraktes ästhetisches Ereignis zu transformieren. Wenn ”Freiheit ist, gegen den Apparat zu spielen”, und eine Form dieser Freiheit darin besteht, ”den Apparat [zu] zwingen, Unvorhergesehenes, Unwahrscheinliches [...] zu erzeugen”[19], dann ist Zimmermanns exzessive und (im herrschaftslogischen Sinne) kontraproduktive Nutzung von Filtern eine Form von Freiheit.

Allerdings folgt der Künstler dabei unweigerlich der, für moderne Computersoftware typischen, Logik der Selektion.[20] Er selektiert bereits bestehendes Bildmaterial aus dem Archiv seiner eigenen Arbeiten, aus dem Internet oder aus anderen Medien. Dann wendet er ausgewählte Filter darauf an, d. h. die Begrenzungen, die das Programm vorgibt, sind somit letztlich die Grenzen der künstlerischen Arbeit. Manovich hat darauf hingewiesen, dass das ”model of authorship as selection from libraries of predefined objects”[21] charakteristisch für fast alle technologischen Medien ist: ”Pulling elements from databases and libraries becomes the default; creating them from scratch becomes the exception.”[22]Creating from Scratch – also die Erschaffung aus dem Nichts – war aber oft eine Geste der Malerei gegenüber der leeren Leinwand, insbesondere jener Malerei, der manche von Zimmermanns Bildern auf den ersten Blick so ähnlich sehen: der informellen Malerei oder dem abstrakten Expressionismus.


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Der abstrakte Expressionismus hatte seine große Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die späten fünfziger Jahre. Er gilt als Verkörperung des Programms Clement Greenbergs für eine modernistische, d. h. sich auf ihre medialen Grundbedingungen zurückziehende, Malerei, sofern er sich auf die Strukturierung der Fläche und die Farbe konzentriert.[23] Meyer Shapiro und David Craven[24] haben in Anbetracht dieser, zum ästhetischen Formalismus neigenden Erklärung, darauf verwiesen, dass der abstrakte Expressionismus auch als Verweigerungshaltung gegenüber dem technokratischen Kapitalismus in den USA verstanden werden kann. Craven spricht in diesem Sinne von einem ”romantic anti-capitalism [...] with an ideological critique of technologism”.[25] Die Farbe auf die leere Leinwand schleudernde Hand des Künstlers wird so als Mittel eines spontanen und existentiellen Ausdrucks, einer nichtentfremdeten Tätigkeit, lesbar. Gerade das Zufällige der aktionistischen Malerei – etwa eines Jackson Pollock – wird so zur Geste der Freiheit: ”Modern painting is the first complex style in history which proceeds from elements that are not pre-ordered as closed articulated shapes.[26] [...] While in industry accident is that event, which destroys an order [...] in painting the random or accidental is the beginning of an order [...] a kind of order that in the end retains the aspect of the original disorder as a manifestation of freedom.”[27] Gegen unerbittliche Funktionalität und die technologische Gleichschaltung wird die Störung, die Abweichung, aber auch das nicht Reproduzierbare, das singuläre ”handmade, personal object”[28] gestellt. In diesem Sinne unterstrich Shapiro weiterhin, dass die enigmatische Verweigerung der Bilder eine einfach konsumierbare Botschaft oder auch nur ein einfach identifizierbares Sujet zu liefern, als Störung der hegemonialen, funktionalisierten Kommunikation verstanden werden muss.[29]


Zimmermanns Arbeit hat ein komplexes Verhältnis zu dieser Tradition.[30] Zunächst war ja – wie in der Einleitung erwähnt – ein Anstoß für die neuen Bilder eine Störung in der technischen Übermittlung von Daten. Die herrschaftslogisch kontraproduktive, da ”dysfunktionale” Nutzung der Filter habe ich auch schon beschrieben. Ähnlich wie im abstrakten Expressionismus bekommt das Zufällige, Nicht-Beherrschbare, Dysfunktionale eine zentrale Rolle zugewiesen. Wieder ist Zimmermanns Nutzung des Epoxidharzes als Material konsequent: ”Ab einem bestimmten Zeitpunkt malt sich das Bild selbst. Du hast es dann nicht mehr in der Hand. Du kannst es auch nicht mehr stoppen oder zurücknehmen. Das Epoxidharz hat eine so lange Fließzeit, bevor es abbindet, dass die Bilder häufig am anderen Morgen ganz anders aussehen, als ich sie am Abend verlassen habe.”[31]

Seine Arbeiten erscheinen aber nur so malerisch, ihr Herstellungsprozess hat nichts mit der spontanen Expression eines frei sich (im Action Painting eines Pollock fast buchstäblich) ent-werfenden Individuums zu tun. Vielmehr sind sie Endpunkt eines komplexen technologischen Prozesses: Zimmermann weist also keineswegs das Technologische zugunsten des einmaligen, handgemachten, expressiven Objekts zurück – das wäre angesichts der (totalitären?) Allgegenwart technologischer Medien auch nur noch eskapistisch. Vielmehr arbeitet er an und mit der (Computer-)Technologie, nutzt und verfremdet sie.[32]


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Diese intermediale Arbeit findet noch auf einer weiteren Ebene statt. Die Logik der Selektion zeigt sich bei Zimmermann auch in der Auswahl von Bildmaterial aus dem Internet, das laut Manovich die bislang höchste Verkörperung dieser Logik darstellt.[33] In diesem Sinne bezeichnete der Künstler im Gespräch mit mir das Internet als Fundgrube für unvorhergesehenes Bildmaterial. Die Computer erzeugen nicht nur neue Typen von Bildern, sondern auch neue Typen von Archiven. Da das ”Archiv [...] zunächst das Gesetz dessen, was gesagt werden kann”[34], ist, haben solche Verschiebungen tief greifende Folgen für das Verständnis von Geschichte: die Anordnung historischer Daten ist nichts anderes als das, was wir Geschichte nennen, und diese Strukturierung ist von ihren medialen Voraussetzungen abhängig. Geschriebene Geschichten liest man entlang der Zeile und so wird der Eindruck einer Linearität erzeugt, hypertextuell vernetzte Geschichten folgen einer anderen, vernetzten Logik. Außerdem ermöglicht die universelle Maschine Computer die Ko-Repräsentation und Vernetzung verschiedenster Materialien unterschiedlicher medialer Herkunft auf einer Ebene: ganz neue ‚historische’ Verbindungen werden möglich.[35]


Die Auseinandersetzung mit dem weitgehend völlig ungeordneten und vergänglichen Archiv des Internets ist Teil von Zimmermanns neuen Arbeiten. Seine Bilder zitieren mit dem Abstrakten Expressionismus auch dessen All-Over-Struktur, d. h. die relativ gleichmäßige und nichtzentrierte Verteilung der malerischen Ereignisse auf der Leinwand (s. Abb. 1). Dies scheint die Struktur des Internets abzubilden, das auch keine Zentrale besitzt.[36] Doch bei genauerer Betrachtung erweist sich die Vorstellung, die Datennetze seien homogene, nicht-hierarchische Räume[37], in denen das gesamte Wissen der Menschen versammelt und auffindbar ist, als problematisch. Das Internet wächst zwar schnell und weitgehend unreguliert, ist also kaum zentralen Hierarchien unterworfen, aber es wird dadurch auch extrem unübersichtlich. In dem gigantischen Datenozean kann man ohne – am besten mit Katalogen in Bibliotheken vergleichbare – Selektionshilfen gar nichts mehr finden. Irgendwelche ”signifikante[n] Strukturen”, d. h. Hierarchisierungen, Begrenzungen, Zentrierungen, müssen sich herausbilden, damit ”de[r] Abstand zwischen Signal und Rauschen”[38] bewahrt werden kann. Suchmaschinen wie Alta Vista oderYahoo! sind eine erste Herausbildung solcher Zentren. Aber selbst sie stoßen schnell an Grenzen: ”Eine Recherche, die 12.000 Antworten zum Resultat hat, hat nicht Reichtum, sondern weißes Rauschen geliefert.”[39] Suchmaschinen liefern zumeist auch zahllose unbrauchbare Ergebnisse, abgesehen davon, dass sie oft nur Bruchteile des Webs erfassen.

Ino.k. Raster (Abb. 1) wird, insbesondere, wenn man das Bild aus der Distanz betrachtet, eine Struktur der blauen Punkte sichtbar, die erahnen lässt, dass es sich nicht um ein wirkliches All-Over, sondern um palimpsestisch verschüttete Information handelt. Deutlicher noch zeigt sich dies in Ander(Abb. 2). Ein Gewirr verstümmelter Schriftzeichen, die vielleicht einmal Eigentlich könnte alles auch anders sein[40] bedeuteten, irrt, angeordnet in einer für Monitore typischen Zeilenstruktur, über die Bildfläche. Das weiße Rauschen der Informationsflut und zugleich die Notwendigkeit der Hervorhebung signifikanter Zeichen (denn das titelgebende ”Ander” dominiert den oberen Teil des Bildes) werden hier thematisiert. Zimmermanns Bilder sind Appropriationen eigenen und fremden Bildermaterials, welches er aber durch die Verfremdung von (fast) jedem Wiedererkennungswert befreit. Das Material wird also einer Umschreibung ausgesetzt, die Gedächtnis als Konstruktion sichtbar macht: Denn was wir erinnern, ist immer schon eine aus der Gegenwart angeleitete Umformulierung des Gespeicherten – Vergangenheit ist immer (auch) Vergangenheit, die nie gegenwärtig war.[41] Und wieder ist Zimmermanns Nutzung des Epoxidharzes konsequent: Die neuen Bilder sind geschichtet, eine Schicht von Epoxidharz auf die andere. Besonders schön sieht man dies an Bildern wie dem – bezeichnend betitelten – chip (Abb. 3). Diese Operation der Schichtung oder Sedimentierung, die im Übrigen auch im Abstrakten Expressionismus eine – wenn auch ganz andersartige – Rolle spielte[42], ist selbst eine Metapher für die, auf bloße Reproduktion des Gewesenen irreduzible Struktur des Gedächtnisses.[43] Eine Schicht verdeckt die andere, durch ihre Farbigkeit wird die darunter liegende Schicht anders sichtbar – und im Unterschied zu den digitalen Medien, aus denen der Künstler seine Bildinformationen bezieht, ist die malerische Einschreibung nicht löschbar, die überlagerte Schicht kann nicht wieder bereinigt und als sie selbst herausgeschält werden. So wird ein Element aus dem flüchtigen ‚Gedächtnis’ des Digitalen permanent und unlöschbar gemacht: Aus dem temporären Computerbild wird ein (durch die Institution des Kunstmarktes) beglaubigtes Monument. Der Künstler reißt einzelne Bildereignisse aus dem (insbesondere im Internet normalen) Strom des Vergessens und zeigt durch die Kontingenz dieser Wahl (es könnten auch andere Bilder sein) auf, dass nur vor dem Hintergrund des Nicht-Selektierten und Vergessenen überhaupt erinnert werden kann. Gerade weil das Internet kein Vergessen wie der Mensch – und damit auch keine Verdichtung und Verschiebung im Sinne der Psychoanalyse – kennt[44], verwandelt es sich in eine Müllkippe von Daten, ein Anarchiv.[45] Wie Zimmermann sagt: Es ist ganz schwer, überhaupt sichtbar zu werden...


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Zimmermanns neue Bilder sind also als vielschichtige Auseinandersetzungen mit den Potentialen der universellen Maschine und ihren Implikationen lesbar. Sie verdichten die Fragen nach der (totalitären?) Expansion der Digitalisierung und den dadurch verursachten Verschiebungen der Bildlichkeit, nach der Logik des Filters und nach der Logik der Selektion aus einem digitalen Archiv zu Chiffren eines medialen Umbruchs. An der hier nur skizzierten Komplexität von Zimmermanns neuerer Arbeit zeigt sich, dass eine Auseinandersetzung mit der universellen, digitalen Maschine und ihren ästhetischen Potentialen auch und vielleicht gerade außerhalb der Effekthascherei vieler Ansätze der so genannten ”Medienkunst”[46] möglich ist.









Abbildungen:



Abb. 1 Peter Zimmermann, ”ok Raster”, 2000, Kunstharz mit Pigmenten auf Leinwand, 270 x 170 cm.


Abb. 2 Peter Zimmermann, ”Ander”, 1999, Kunstharz mit Pigmenten auf Leinwand, 195 x 145 cm.


Abb. 3 Peter Zimmermann, ”chip”, 2001, Kunstharz mit Pigmenten auf Leinwand, 270 x 170 cm.















[1] Ich danke Peter Zimmermann für ein sehr ausführliches und informatives Gespräch. Die Galerie 20/21 hat mir Bildmaterial für die Analyse zur Verfügung gestellt, wofür ich insbesondere Dominique Jagusch danke.

[2] Hier zeigt sich der für Zimmermann charakteristische Einsatz des Kontingenten, worauf ich nicht im Detail eingehen möchte, da dies anderenorts bereits hervorragend geleistet wurde, vgl. Natalie Binczek, ”Einige Statements und Mutmaßungen über Schachteln, Oberflächen und andere Jetties”, in: Beatrix Ruf (Hrsg.), Peter Zimmermann, Zürich 1997, S. 20–29.

[3] Zur Bestimmung des Begriffs der Intermedialität siehe meine Vorschläge in ”Intermedialität. Facetten und Probleme eines aktuellen medienwissenschaftlichen Begriffs”, in: montage/av, Jg. 7, Nr. 2 (1998), S. 129–154.

[4] Vgl. dazu Jonathan Crary, Techniques of the Observer. On Vision and Modernity in the Nineteenth Century, Cambridge, Mass. / London 1990.

[5] Friedrich Kittler, ”Computergrafik. Eine halbtechnische Einführung”, unter: http://sophie7.culture.hu-berlin.de/aesthetic/graphik.htm (letzter Zugriff Juli 2001).

[6] James D. Foley / Adries van Dam / Steven K. Feiner / John F. Hughes, Computer Graphics. Principles and Practice, Reading, Mass. u. a. 1990, S. 816. Digitale Bilder sind dann als zweidimensionale Matrix gespeichert, wenn sie digitalisierte oder fertig generierte Bilder sind. Bei generierten Bildern (s. Anm. 15) entsteht das Bild durch eine Abfolge von Algorithmen, die auf eine Datenbank (z. B. für die Koordinaten von Eckpunkten der Objekte oder für Texturen etc.) zurückgreifen, vgl. zur Generierung ‚fotorealistischer’ Bilder, ebd., S. 605–648.

[7] Vgl. Lev Manovich, The Language of New Media, Cambridge, Mass. / London 2001, S. 132.

[8] Vgl. W. J. T. Mitchell, The Reconfigured Eye. Visual Truth in the Post-Photographic Era, Cambridge, Mass. / London 1992, S. 87–115.

[9] Hartmut Winkler, Docuverse. Zur Medientheorie der Computer, München 1997, S. 60.

[10] Winkler, ebd., S. 58/59, stellt auch die Frage, ob der Übergang von der ”universellen Maschine” zum ”Universalmedium” problemlos möglich ist. Die Annahme, dass Computer als Medien beschrieben werden können, diskutiert Lutz Ellrich, ”Neues über das ‚neue Medium’ Computer”, in: Werner Rammert und Gotthard Bechmann (Hrsg.), Technik und Gesellschaft. Jahrbuch, Bd. 9: Innovationen – Prozesse, Produkte, Politik, Frankfurt a. M., S. 195-223.

[11] Zu den technischen Grundlagen vgl. Rainer Eckl, Leonhard Pütgens und Jürgen Walter, A/D- und D/A-Wandler. Grundlagen, Prinzipschaltungen und Applikationen, München 1990

[12] Was nicht identisch ist: Videobilder sind elektronisch gespeichert, aber analog.

[13] Vgl. Stefan Heidenreich, ”Icons: Bilder für User und Idioten”, in: Birgit Richard, Robert Klanten und Stefan Heidenreich (Hrsg.), Localizer 1.3, Berlin 1997, S. 82–85. Allerdings ist die Kritik an der Abschottung der Maschine durch die benutzerfreundliche Oberfläche einseitig, denn die Ausbreitung neuer Medien, d. h. nichts anderes als ihre historische Durchsetzung, ist zwingend auf solche Prozesse der Vereinfachung und damit der Ankoppelung an vertraute Techniken und Gebrauchsweisen (z. B. in der Schreibtischmetapher des desk tops) angewiesen.

[14] Peter Zimmermann, ”Eigentlich könnte alles auch anders sein. Ein Gespräch von Alexander Braun”, in: Kunstforum, Bd. 141, 1998, S. 332.

[15] Vgl. zum Folgenden Jens Schröter, ”INTELLIGENCE DATA. Zum Weltbezug der so genannten ‚digitalen Bilder’”, erscheint in: Berliner Debatte Initial, Winter 2001. In diesem Aufsatz finden sich auch detaillierte Quellenangaben sowie Erörterungen zu den generierten Bildern, die hier ausgelassen werden.

[16] Vgl. Jeffrey T. Richelson, ”U.S. Satellite Imagery, 1960–1999. National Security Archive Electronic Briefing Book No. 13”, unter: http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB13/index.html (letzter Zugriff Juli 2001); Hervorhebung, J. S.

[17] Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, Opladen, 2. Auflage, 1996, S. 9 und 31.

[18] Darauf komme ich im Abschnitt zur Thematik des Gedächtnisses in Zimmermanns neueren Arbeiten nochmals zurück.

[19] Vilém Flusser, Für eine Philosophie der Fotografie, Göttingen 1983, S. 73.

[20] Vgl. Manovich, Language of New Media, a. a. O., S. 123–129.

[21] Ebd., S. 129.

[22] Ebd., S. 130.

[23] Vgl. Clement Greenberg, Die Essenz der Moderne. Ausgewählte Essays und Kritiken, Amsterdam/Dresden 1997, S. 265–278 und S. 314–335, insb. S. 331.

[24] Vgl. Meyer Shapiro, ”Recent Abstract Art”, in: ders., Modern Art, 19th and 20th Centuries: Selected Papers, New York 1978, S. 213–226 (der Text erschien erstmals 1957 in Art News unter dem Titel ”The Liberating Quality of Avant-Garde Art”) und David Craven, ”Abstract Expressionism, Automatism and the Age of Automation”, in: Art History, Vol. 13, No. 1 (1990), S. 72–103.

[25] Ebd., S. 74. Die Technikkritik der Abstrakten Expressionisten entfaltet Craven auf S. 83–92.

[26] Moderne Malerei folgt nach Shapiro also gerade nicht der Logik der Selektion.

[27] Shapiro, ”Recent ...”, a. a. O., S. 221.

[28] Ebd., S. 217.

[29] Ebd., S. 223. Shapiro betont aber auch, dass die singulären Gemälde der Abstrakten Expressionisten bald vom kapitalistischen Kunstmarkt als teure Waren funktionalisiert und so ihre kritischen Potentiale reduziert wurden. Vgl. auch Craven, ”Abstract ...”, a. a. O., S. 76/77.

[30] Zimmermann hat in mehreren Bildern, z.B. in Essential (Jackson Pollock) (1999) explizit Bezug auf einen zentralen Vertreter des abstrakten Expressionismus – Jackson Pollock und dessen Gemälde Blue Poles (1952) – genommen.

[31] Zimmermann, ”Eigentlich ...”, a. a. O., S. 329.

[32] Deswegen haben auch fast alle neuen Bilder dasselbe Format (270 x 170 cm) – die für den technikkritischen Diskurs der Abstrakten Expressionisten unannehmbare Serialität der industriellen Massenproduktion wird hier zitiert. Dazu, wie sehr die ”modern media” der ”logic of the factory” folgen, vgl. Manovich, The Language..., a. a. O., S. 29/30.

[33] Vgl. Manovich, The Language ..., a. a. O., S. 131.

[34] Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt a. M. 1995, S. 187. Das Archiv bestimmt nicht nur was gesagt, sondern auch, was gesehen werden kann, vgl. dazu John Rajchman, ”Foucaults Kunst des Sehens”, in: Tom Holert (Hrsg.), Imagineering. Visuelle Kultur und Politik der Sichtbarkeit, Köln 2000, S. 40–63 und Crary, Techniques..., a.a.O.

[35] Vgl. dazu Hal Foster, ”The Archive without Museums”, in: October, Nr. 77 (1996), S. 97–119 sowie Wolfgang Ernst und Stefan Heidenreich, ”Digitale Bildarchivierung: der Wölfflin-Kalkül”, in: Sigrid Schade und Georg Christoph Tholen (Hrsg.), Konfigurationen. Zwischen Kunst und Medien, München 1999, S. 306–320.

[36] Was einen militärischen Vorteil darstellt – denn verteilte Netzwerke kann man nicht durch einen gezielten Angriff auf eine Zentrale außer Gefecht setzen. Allerdings sind die Motivationen, die hinter der Erfindung verteilter Netzwerke standen, komplexer, vgl. Janet Abbate, Inventing the Internet, Cambridge, Mass. / London 1999.

[37] Z. B. behauptet Norbert Bolz, Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse, München 1993, S. 217 irrtümlich: ”Die radikaldemokratische Kollaboration in der Navigation durchs docuverse, d. h. durch eine online-Weltbibliothek [...] ist eben auch ein Abschied von den Ordnungsmustern Hierarchie, Kategorie und Sequenz.”

[38] Hartmut Winkler, ”Songlines”, in: Martin Warnke, Wolfgang Coy und Georg Christoph Tholen (Hrsg.), HyperKult. Geschichte, Theorie und Kontext digitaler Medien, Basel / Frankfurt a. M. 1997, S. 227–240, hier S. 234/235.

[39] Winkler, Docuverse, a. a. O., S. 176.

[40]Eigentlich könnte alles auch anders sein ist nicht nur der Titel einer Installation von Zimmermann im Kölner Kunstverein 1998, sondern auch der einer zeitgleich von ihm und Natalie Binczek herausgegebenen Publikation.

[41] Um eine (dort allerdings anders verwendete) Formulierung von Emmanuel Levinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht,Freiburg 1992, S. 316, aufzugreifen.

[42] Insofern sie dort eine neue Form bildräumlicher Tiefe eröffnete. Ein Beispiel dafür ist Pollocks wunderbares Gemälde Full Fathom Five (1947).

[43] Man könnte – frei nach Heidegger – von der Geschichte als dem Ge-Schichte sprechen...

[44] ‚Vergessen’ und ‚Gedächtnis’ können in Bezug auf digitale Speicher bzw. Archive wie das Internet nur metaphorisch benutzt werden, vgl. Winkler, Docuverse, a. a. O., S. 81–184.

[45] Diese Wortprägung verdanke ich Wolfgang Ernst, vgl. ders., ”Temporary Items. Die Beschleunigung des Archivs”, in: Immanuel Chi, Susanne Düchting und Jens Schröter (Hrsg.), Ephemer_Temporär_Provisorisch, Essen [erscheint Ende] 2001.

[46] Friedrich Kittler, ”Gleichschaltungen. Über Normen und Standards der elektronischen Kommunikation”, in: Manfred Faßler und Wulf Halbach (Hrsg.), Geschichte der Medien, München 1998, S. 255–268, hier S. 261 hat bemerkt: ”Das Medium als durchstandardisiertes Interface hat, lange vor jeder Einzelproduktion, nicht bloß diejenigen Entscheidungen bereits getroffen, die einstmals im freien ästhetischen Ermessen von Künstlern oder Handwerkern lagen, sondern eben auch Entscheidungen, deren Effekte die Wahrnehmung gar nicht mehr kontrollieren kann. Mit anderen Worten: wo unter den handwerklichen Bedingungen alteuropäischer Kultur der Stil – nach Buffons Wort – als Mensch selber paradieren konnte, einfach weil keine Grammatik die Wortstellung und keine Malerschule die Farbpalette restlos zu regeln vermochte, leeren technische Standards den Spielraum stilistischer Selektionen. Und solange die selbsternannten Medienkünstler, statt die Normungsausschüsse zu besetzen und das heißt an den elementaren [...] Voraussetzungen ihrer Produktion zu rütteln, diese Voraussetzungen einfach hinnehmen, liefern sie auch nur Eigenreklamen der jeweils herrschenden Norm.” Diese Kritik trifft Zimmermanns Arbeit mit und an der Technologie höchstens an der Stelle, wo er die Vorgaben von Photoshopberücksichtigen muss. Sie trifft natürlich nicht auf die malerische Auseinandersetzung und den komplexen Einsatz des Materials zu.