Jens Schröter

ALTERITäT UND MEDIALITäT
Ein Versuch zwischen transzendentaler Phänomenologie und Medientheorie.[1]


Ich frage mich nun, was ist eine virtuelle Gesellschaft?
Sie entsteht, aber was ist das Ihrer Meinung nach?

Paul Virilio

Entweder sie ist ein dummes Schlagwort, was überhaupt nichts besagt,
oder sie ist insofern virtuell, als sie als Gesellschaftsmitglieder oder
Staatsmitglieder eben nicht bloß mehr Menschen, natürlichen Personen
und Rechtspersonen führt, wie Institutionen, sondern große Netzserver
und Programmstrukturen, also eine Welt, in der die Menschen
nicht mehr allein kulturelle Wesen sind.

Friedrich Kittler.[2]


Dass es einen Dialog zwischen der Philosophie und der Medienwissenschaft geben sollte, scheint naheliegend. So ist etwa eine der Grundfragen der Erkenntnistheorie, wie man überhaupt etwas wissen kann, offenbar eine Frage, die auch die nach den Medien, also: durch welche Materialitäten, Kanäle und Codes kann Information überhaupt übertragen werden, einschließt oder voraussetzt. Einerseits kam es nicht immer zu diesem Dialog. Während die verschiedenen Strömungen der Philosophie gelegentlich mit der ‚Materialität der Kommunikation‘ nicht in Berührung treten wollten[3] oder glaubten den Medienwissenschaften selbstherrlich ihre Möglichkeitsbedingungen vorrechnen zu dürfen[4], schienen die Medienwissenschaften – nur zu verständlich angesichts der ‚transzendentalen‘ Bevormundung durch die Philosophie (und auch der Übermacht literaturwissenschaftlicher Methoden am Beginn der neuen Disziplin) – lieber ihre eigenen Verfahrensweisen entwickeln zu wollen.[5] Dennoch befruchteten sich die beiden Felder andererseits immer wieder auf produktive Weise. Die in jüngster Zeit auffälligste Form, in der dies stattfand war – etwas überraschend – das Comeback, das die Phänomenologie in der Beschäftigung mit Film und Video fand.[6] Dies ist der erste Grund, warum im Folgenden die Phänomenologie eine zentrale Rolle spielen wird.
In der Phänomenologie gibt es eine lange und noch immer lebendige Diskussion über ein philosophisches Grundproblem: nämlich das der Fremderfahrung bzw. Intersubjektivität. Es geht um die zentrale philosophische Frage, woher ich weiß, bzw. wie ich überhaupt wissen kann, dass die anderen Menschen (die ‚Anderen‘), denen ich begegne, auch wahrnehmende, bewusste Wesen, wie ich es bin, sind. Denn ansehen kann ich ihnen ihr Bewusstsein nicht: Sie könnten auch bloß sehr geschickt programmierte Roboter sein, die blind und unbewusst einem Programm folgend zwar immer richtig und angemessen reagieren, aber selbst eben keine bewussten Subjekte sind. So formulierte schon Descartes: „Da sehe ich gerade zufällig von meinem Fenster aus Leute auf der Straße vorübergehen; ich bin gewohnt [...] zu sagen: ich sehe sie. Was sehe ich denn außer Hüten und Kleidern, unter denen auch Automaten stecken könnten?“[7] Edmund Husserl, Begründer der Phänomenologie, hat in seinen, nicht zufällig so genannten, Cartesianischen Meditationen, die bislang letzte anspruchsvolle[8], noch immer faszinierende und in vielen Details durchaus problematische Argumentation entfaltet, um diesem Problem auf die Schliche zu kommen (1).
Die Frage nach der Fremderfahrung – das ist der zweite und wesentliche Grund, warum es hier um Phänomenologie geht – ist für einen Dialog zwischen Philosophie (hier: Phänomenologie) und Medienwissenschaft deswegen so interessant, weil sie in den Medien gewissermaßen völlig unproblematisch ist. Schon in der Literatur[9], aber erst recht im Film gibt es das, was man ‚point-of-view‘ nennt und was sich bis zur Subjektive[10] steigern kann, also den narrativ vermittelten Einblick in das Fremdpsychische – zwei sehr verschiedene Fälle der kinematographischen Inszenierung des Anderen wären: The Lady in the Lake (Robert Montgomery, 1947), der (fast) ausschließlich in Subjektive gedreht ist (Abb. 1)[11] und Being John Malkovich (Spike Jonze, 1999), der sich auf inhaltlicher Ebene genau um die Möglichkeit ‚mit den Augen des Anderen zu sehen‘ (in diesem Fall ist der Andere der Schauspieler John Malkovich) dreht (Abb. 2). Derartige Inszenierungen von Fremderfahrung wurden in der Film-Phänomenologie bislang nicht diskutiert.[12]


Abb. 1 Subjektive des Protagonisten, aus: The Lady in the Lake (1947)


Abb. 2 Subjektiver Blick ‚durch die Augen John Malkovichs‘, aus: Being John Malkovich (1999)


Zunächst soll grundlegend geklärt werden, welche Rolle bildliche Darstellungen in der transzendentalen Konstitution der Intersubjektivität spielen. Dabei wird sich zeigen, dass zwar einerseits bildliche Darstellungen bzw. Inszenierungen offenbar nicht konstitutiv für die ‚normalen‘ Prozesse der transzendentalen Konstitution der Intersubjektivität sind (2, 3). Andererseits eröffnet das eine wichtige, hier nur zu skizzierende Forschungsperspektive: Die ‚anormale‘[13] Inszenierung von Fremderfahrung im Kino kann möglicherweise spezifische Funktionen haben. Kittler schrieb einmal: „Filme werden [...] immer mehr und mehr zu Gebrauchsanweisungen für andere Medien [...], vom Telefon bis zum Mikroprozessor. Ein Film ohne Computer ist 1988 schlicht vergeßlich, mit Willen oder nicht. Man wüßte gern, ob nicht diese narrativitätssüchtige Unterhaltungsindustrie mit ihren Outputs nur die Funktion hat, uns an Medien anzukoppeln und deren Zivilnutzung einzureden.“[14] Wenn das stimmt, könnte die Inszenierung der Subjektive von Maschinen vorwiegend im Science Fiction-Film die Funktion haben, uns die – wie Husserl oft schrieb – ‚Einfühlung‘ in einen maschinellen oder virtuellen Anderen zu erlauben. In einer Welt voller Roboter, virtueller Agenten und KIs, die wenn sie auch in der prophezeiten Weise nie kommen mag, im kleinen doch schon allgegenwärtig ist (aktivieren Sie nur unter Microsoft Word einen ihrer Hilfeassistenten), in einer Welt, in der schließlich vielleicht ‚die Menschen nicht mehr allein kulturelle Wesen sind‘ (Kittler), wird diese Einfühlung vielleicht ein unverzichtbares Vermögen sein ... (4).

(1) Eine kurze Darstellung von Husserls Theorie der Intersubjektivität[15]

Der Versuch der transzendentalen Phänomenologie, eine philosophische Letztbegründung zu leisten und so Philosophie als strenge Wissenschaft durchführen zu können, beruht auf dem Verfahren der Epoché (auch: transzendentale Reduktion oder transzendentale Epoché), durch das alle Vormeinungen bezüglich der Welt, alle scheinbar selbstverständlichen Vorannahmen – wie Husserl manchmal sagt – ausgeklammert werden sollen: Die Welt wird nicht negiert (wie etwa in Descartes’ methodischem Zweifel), sondern sozusagen ‚in Anführungszeichen gesetzt‘. Die mir erscheinende Welt, in der ‚natürlichen Einstellung‘ (Ur-Doxa) unfraglich mit den Attributen wirklich-seiend und an-sich-seiend versehen sind, wird nicht gelöscht, es wird nur der Mitvollzug solcher Seinsansprüche verweigert. Irgendwelche Aussagen – ob bejahende oder verneinende – über ein An-sich-Sein außerhalb des Bewusstseins lehnt Husserl als prinzipiell widersinnig ab, da ja jede derartige Aussage bereits notwendig Bewusstsein voraussetzt.
Die Phänomenologie in der Epoché befragt die Erscheinungsweisen und die Seinsansprüche der erscheinenden Phänomene, „wie immer es mit Sein und Nicht-Sein der Welt stehen [...] mag“ (Hua I, CM § 11, S. 64). Sie untersucht – daher ihr Name – die Logik der Phänomene, die verschiedenen Weisen, wie sie erscheinen, was in ihnen erscheint und der je und je andere Seinssinn, in dem sie erscheinen. Das gilt auch für mein weltliches, psychologisches Ich – ich, dieser konkrete Mensch mit diesem konkreten Seelenleben, bin selbst bloßes Phänomen, das auf der Szene des mit der Epoché erstmals zugänglichen transzendentalen Egos erscheint. Nirgendwo ist man weiter von der Psychologie, vom Psychologismus und sogar vom Anthropomorphismus entfernt als im Bereich der Transzendentalität (vgl. Hua I, CM § 11). Das transzendentale Ego als Bedingung der Möglichkeit (des Erscheinens) von Welt überhaupt kann in diesem Sinne, auch weil es apodiktisch gewiss ist, nicht von derselben Seinsart wie die Welt sein. Es ist radikal extra-mundan.[16]
Nun drängt sich folgendes Problem auf: Wenn die Phänomenologie Aussagen über nicht Ausweisbares, sich als Phänomen Gebendes verweigert, verfällt sie da nicht notwendig in Solipsismus, d.h. in die Annahme, dass ich – der phänomenologische Philosoph in der Epoché – das einzige bewusste Wesen bin? Denn die Anderen (Subjekte) sind ja durch die Epoché auch zu Phänomenen geworden – und gerade das, was sie zu anderen Subjekten macht, also ihre Subjektivität, ihr Bewusstseinsfeld, ist ja absolut unzugänglich. Husserl: „Wenn ich, das meditierende Ich, mich durch die phänomenologische έποχή auf mein absolutes transzendentales Ego reduziere, bin ich dann nicht zum solus ipse geworden, und bleibe ich es nicht, solange ich unter dem Titel Phänomenologie konsequente Selbstauslegung betreibe?“ (Hua I, CM § 42, S. 121).
Dies ist ein äußerst schweres Problem, denn erstens gehört es zu den nicht zu leugnenden Beständen der Erfahrung in der natürlichen Einstellung, dass Andere mit mir in der Welt sind, ja dass der Sinn von Welt generell der des Für-jedermann-da-Seins ist – dieser irreduziblen Erfahrung geht Husserl nach. Zweitens setzt der Anspruch der Phänomenologie, einen festen Boden unter die philosophischen Füße zu bekommen, eine objektive Begründung der Philosophie zu finden, bereits Intersubjektivität voraus. Wenn ich das solus ipse wäre und es keine Anderen gäbe, wären meine Bemühungen dazu verurteilt, nur von mir für mich zu sein und somit rein subjektiv zu bleiben.
Ich möchte Husserls Vorschlag, wie er ihn auf den äußerst dichten und schwierigen Seiten der V. Cartesianischen Meditation ausgearbeitet hat, hier nur umrisshaft zusammenfassen[17] und zwar konzentriert auf zwei für die leitende Fragestellung zentrale Punkte:

I. Thematische Epoché, primordiale Welt und immanente Transzendenz:
Der erste Schritt, den Husserl durchführt, um zu einer Analyse der Erfahrung des Fremden, Anderen zu kommen, ist der der thematischen Epoché. Dieser Schritt darf nicht verwechselt werden mit der transzendentalen Epoché, von der weiter oben die Rede war. Durch diese spezielle, thematische Epoché soll aus dem Weltphänomen systematisch alles ausgeklammert werden, was auf Fremdes, auf den Anderen verweist. Das sind alle Kulturprädikate, die Dingen zukommen, aber auch der Sinn des Für-jedermann-da-Sein, der in der natürlichen Einstellung allen Dingen anhaftet. Diese letzte Ausklammerung ist weitaus radikaler als ein bloßer Rückgang auf das Alleinsein: Denn selbst „wenn eine universale Pest mich allein übrig gelassen hätte“ (Hua I, CM § 44, S. 125), bliebe der Sinn des Für-jedermann-da-Sein noch an der Welt zurück. Wozu diese erneute Reduktion? Nun, Husserl möchte der Fremderfahrung auf die Spur kommen und dazu ist es – ganz dem Duktus der Vorurteilslosigkeit der transzendentalen Phänomenologie folgend – nötig, alle Voraussetzungen einer objektiven, eben für Andere ebenfalls gegebenen Welt auszublenden. Denn die Objektivität, d.h. intersubjektive Gegebenheit der Welt soll ja erst aus den intentionalen Leistungen des transzendentalen Ego heraus erwiesen werden.
Wohin führt nun die thematische Epoché? Sie führt zu der Erkenntnis, dass mir das Weltphänomen nicht verloren geht, auch wenn ich von allem Fremden, allem auf Andere, auf Objektivität Verweisendem absehe. Hier muss man sich vergegenwärtigen, dass nach dieser zusätzlichen Einklammerung die Welt nur noch ein Feld von Abschattungssystemen – also ein Feld von Vorder- und Rückseiten, Überschneidungen, gegenseitigen Schattenwürfen etc. – ohne Sinn ist, denn schon einen Tisch als solchen zu erkennen, setzt die Gemachtheit desselben durch Andere, seine Funktion in einer Sozialität usw. voraus.[18] Das Resultat dieses ‚strategischen Solipsismus‘, diesem Rückgang auf das ‚Eigenheitliche‘, die primordiale Sphäre[19] ist eine ‚Unterschicht von Welt‘, die Husserl auch als ‚bloße Natur‘ bezeichnet: „Offenbar erstreckt sich – und das ist von besonderer Wichtigkeit – das mir als Ego Eigenwesentliche nicht nur auf die Aktualitäten und Potentialitäten des Erlebnisstromes, sondern wie auf die konstitutiven Systeme so auch auf die konstituierten Einheiten [...]“ (Hua I, CM § 47, S. 134). Selbst wenn ich in der Manier eines radikalen Solipsisten von allem absehe, was die Objektivität der Welt ausmacht, bleibt als eigentlicher Bestand meines Bewusstseinsfeldes eine – wie Husserl sagt – ‚Transzendenz in der Immanenz‘. Obwohl ich das Feld meines reinen, transzendentalen Bewusstseins, meiner Immanenz, nicht verlassen habe, konstituieren sich am Objektpol meiner Noesen, also Bewusstseinsakte der Wahrnehmung, der Hoffnung, der Erinnerung etc. immer gegenständliche Korrelate, das Wahrgenommene, das Erhoffte, das Erinnerte etc., d.h. es gibt unreduzierbar immer solche Korrelate, die mit dem Seinssinn des Außer-mir erscheinen.
Zentral für Husserls Argumentation ist ein besonderer Gegenstand der primordialen Sphäre, nämlich mein Leib: „Unter den eigenheitlich gefaßten Körpern dieser Natur finde ich dann in einziger Auszeichnung meinen Leib, nämlich als den einzigen, der nicht bloßer Körper ist, sondern eben Leib, das einzige Objekt innerhalb meiner abstraktiven Weltschicht, dem ich erfahrungsgemäß Empfindungsfelder zurechne [...]“ (Hua I, CM § 44, S. 128). Der Leib ist dadurch ausgezeichnet, dass ich in ihm schalte und walte. Der Leib als Zentralkörper ist der Punkt, an dem mein ‚absolutes Hier‘ ist, von dem aus jede mir erscheinende Gegenständlichkeit das Prädikat ‚dort‘ zugewiesen bekommt. In den Bewegungen, von mir geregelten Kinästhesen des Leibs kann ich mich nach ‚dort‘ begeben und es zu meinem ‚Hier‘ machen, wobei unreduzierbar mein vorheriges Hier-im-Raum nun zu einem Dort wird. Diese ursprüngliche Hier/Dort-Beziehung, diese Ur-Räumlichkeit, gilt unabhängig vom Sinn des Für-jedermann-da-Seins für erscheinende, transzendente Gegenständlichkeiten. Sie ist ein wichtiger Aspekt der ‚Transzendenz in der Immanenz‘, des immanenten Außer-mir. Die Summe aller Potenzialitäten und Aktualitäten, der konstitutiven Systeme und ihrer Gegenstände bildet mein – wie Husserl in Anlehnung an Leibniz sagt – Ego in voller Konkretion, meine Monade.

II. Appräsentation, Gebaren und assoziative Paarung:
Wie kommt man nun von dieser primordialen Sphäre, dem konkreten Ego, der ‚Urmonade‘[20] zu den Anderen, also den anderen Monaden? Husserl stellt fest, dass sich unter den gegenständlichen Erscheinungen meiner primordialen Sphäre auch Körper befinden, die meinem Leib ähnlich sind. Nun bemerkt Husserl, dass das Ego diesen Körpern qua ihrer Analogie zu seinem Leib ein alter ego ‚überschiebt‘. Wichtig ist: Die „verähnlichende Apperzeption [...] ist kein Schluß, kein Denkakt“ (Hua I, CM § 50, S. 141). Es ist nicht so – und dies kann jeder nachvollziehen –, dass ich zuerst den Körper sehe und dann auf das alter ego schließe, sondern die Appräsentation des fremden Bewusstseins begleitet die Präsentation des fremden Körpers unmittelbar in der Form der assoziativen Paarung (vgl. Hua XIII, S. 336 und 338f.; vgl. Hua I, CM § 51).
Das alter ego des Anderen, seine primordiale Sphäre bzw. die andere Monade, manifestiert sich insbesondere in dessen Gebaren, dessen Kinästhesen. Genauso wie ich in meinem Leib schalte und walte, sehe ich das alter ego im anderen Leib walten. Husserl: „Der erfahrene fremde Leib bekundet sich fortgesetzt wirklich als Leib nur in seinem wechselnden, aber immerfort zusammenstimmenden ‚Gebaren‘, derart, daß diese seine physische Seite hat, die Psychisches appräsentierend indiziert, das nun in originaler Erfahrung erfüllend auftreten muß. Und so im stetigen Wechsel des Gebarens von Phase zu Phase. Der Leib wird als Schein-Leib erfahren, wenn es damit eben nicht stimmt“ (Hua I, CM § 52, S. 144). So kann Husserl sagen: „Mit anderen Worten, es konstituiert sich appräsentativ in meiner Monade eine andere“ (ebd.). Meinem absoluten Hier entspricht folgerichtig ein anderes absolutes Hier des alter ego und ich kann dieses mittelbar in dem Gedankengang „wenn ich dort wäre“ (Hua I, CM § 54, S. 147)[21] nachvollziehen. An dieser Stelle muss noch einmal betont werden, dass ‚Konstitution‘ nicht so verstanden werden darf, als ob mein transzendentales Ego den Anderen erschaffen würde: „[I]ch kann sie nur finden, aber nicht, welche für mich sein sollen, schaffen“ (Hua I, CM § 60, S. 168).[22]

(2) Problemzonen: Das ‚Aussehen‘ des anderen Körpers und des eigenen Leibs

Über die Erkenntnis also, dass ich von meinem Leib weiß, dass er auch mit dem Sinn eines bloßen Körpers im Raum auftritt, kann ich schlussfolgern – durch die Erfüllungen im ‚stetigen Wechsel des Gebarens von Phase zu Phase‘ –, dass der Körper des Anderen ebenfalls ein Leib ist. Diese Annahme impliziert zwei auseinander folgende Probleme:

I: Identität der Erscheinungssysteme, eidetischer Charakter der transzendentalen Phänomenologie:
Woher weiß ich, dass ihm derselbe Körper erscheint, denn schließlich habe ich ja in seine fensterlose Monade, seine primordiale Sphäre keinen Einblick. Und umgekehrt: Wenn es mir gelänge aufzuzeigen, dass und warum ihm der Körper als derselbe erscheint, hätte ich ein erstes Fundament der Objektivität, d.h. intersubjektiven Verifizierbarkeit der Welt gefunden: Eben diesen einen und denselben Körper, der mir als Dort – ihm oder ihr jedoch als Hier erscheint. Die grundlegende Notwendigkeit der Überwindung des Solipsismus als Aufweis der intersubjektiven, objektiven Gültigkeit der Welt hätte damit eine Basis gefunden und dies würde sich dann „mutatis mutandis für die nachmals konstituierten höherstufigen Weltlichkeiten der konkreten objektiven Welt, wie sie als Menschen- und Kulturwelt für uns immer da ist“ (Hua I, CM § 55, S. 153), wiederholen.
Wie löst Husserl nun das Problem? Er weist nochmals darauf hin, dass die Appräsentation des alter ego von der Präsentation des anderen Körpers dort nicht ablösbar ist und umgekehrt: Jede Präsentation eines fremden Körpers fungiert automatisch ein alter ego appräsentierend, d.h. Präsentation und Appräsentation gehören zur Einheit desselben Gegenstandes. Der fremde Körper gewinnt, wie Husserl sagt, „den Sinn [...] eines mit zu dem anderen ego gehörigen“ (Hua I, CM § 55, S. 151). Dieser Körper ist also intersubjektiv gegeben, mir als fremder Körper dort, ihm oder ihr als eigener Leib hier und umgekehrt. Dabei scheint Husserl allerdings zu unterstellen, dass die konstitutiven Systeme des Anderen prinzipiell genauso funktionieren wie die meinen: „Zu beachten ist dabei, daß es im Sinne gelingender Fremdapperzeption liegt, daß eben ohne weiteres die Welt der Anderen, die ihrer Erscheinungssysteme, als dieselbe erfahren sein muß wie die meiner Erscheinungssysteme, was eine Identität der Erscheinungssysteme in sich schließt“ (Hua I, CM § 55, S. 154). Ist das nicht eine phänomenologisch unausweisbare Unterstellung? Doch ist die Phänomenologie Husserls nicht nur transzendentale, sondern auch eidetische Phänomenologie. D.h. das transzendentale Ego, welches Husserl analysiert, ist eben nicht sein Ego, sondern Eidos Ego (vgl. Hua I, CM § 34). Durch das Verfahren der eidetischen Variation – durch freies ‚Umfingieren‘ eruiert der Philosoph, welche Bestände wesentlich und unverzichtbar zu dem zu untersuchenden Phänomen gehören und welche nicht – wird das Eidos Ego hervorgebracht und dieses ist dann die notwendige Form aller konkreten Egos.[23] Und da also die transzendentalen Strukturen, die Husserl beschreibt, die notwendige, wesenhafte Form aller möglichen Egos sind, ist es für Husserl selbstverständlich, dass die Erscheinungssysteme identisch sind (was durchaus als fragwürdig erscheinen kann, s.u.).
Da der Körper des Anderen für ihn wie für mich derselbe Körper ist, erhält dieser dadurch neben der primordialen Erscheinung als bloßer Körper eine zweite intersubjektive, Schicht. Und von da aus lässt sich dann jedem Objekt der nach der thematischen Epoché gegebenen bloßen Natur diese zweite, objektive Schicht appräsentieren, womit die intersubjektiv vergleichbare Gegebenheit der Welt eingelöst wäre, quod erat demonstrandum.

II: Das Aussehen des Leibs, Ur-Spiegelbildlichkeit:
Doch hier tun sich erneut Probleme auf: Der Ausgang vom eigenen Leib als „urstiftende[m] Original“ (Hua I, CM § 51, S. 141) soll ja deshalb die analogisierende Apperzeption des fremden Körpers als Leib des Anderen ermöglichen, weil mein Leib zum Körper des anderen über eine Beziehung der „Ähnlichkeit“ (Hua I, CM § 50, S. 140) verbunden ist. Die Appräsentation läuft über mein „körperliches Aussehen [sic], wenn ich dort wäre“ (Hua I, CM § 54, S. 147): „Ein äusserer Körper wird als ‚ein Leib‘ apperzipiert und nicht bloss als ein Körper. Er wird so apperzipiert vermöge seiner typischen Ähnlichkeit mit meinem Leib [...]“ (Hua XIV, S. 3). Insbesondere Iris Därmann[24] hat auf die hier vorliegende Problematik verwiesen: Offenkundig erfahre ich meinen Leib zentral durch die „Kernschicht [...] [der] Innenleiblichkeit“ (Hua XIV, S. 330): „Nur faktisch, weil mein Körper Leib ist, kann ich ihn nicht ausserhalb sehen. An sich ist er ausserhalb sichtbar, als Körper, nur aber nicht als Leib, wenn das sehende Ich diesen Leib haben soll“ (Hua XIII, S. 282). D.h. mein Leib sieht für mich ja ganz anders aus als der Körper des Anderen – denn den Kopf des Anderen kann ich sehen, den Kopf meines Leibes jedoch nicht.[25] Damit ich meinen Leib über die ‚Ähnlichkeit‘ mit dem im Außen erscheinenden Körper ‚paaren‘ kann, müsste meinem Leib im Prozess der ‚assoziativen Paarung‘ zunächst eine „Auffassung als Aussenkörper zuwachsen [...]. Nur unter dieser Bedingung könnte er dazu berufen sein, als Original aufzutreten und über die Motivation der Ähnlichkeit eine analogisierende Übertragung in Bewegung setzen.“[26]
Därmann weist nun darauf hin – Husserl bemerkt: „der Andere ist Spiegelung meiner selbst, und doch nicht eigentlich Spiegelung“ (Hua I, CM § 44, S. 125; vgl. Hua XV, S. 7) –, dass das „Spiegelbild vor aller Fremderfahrung den für die Fremderfahrung unverzichtbaren Gewinn [...] einer reflektierten Äußerlichkeit des Eigenleibes“[27] eröffnet: Das Spiegelbild ist freilich nicht einfach ein Abbild, da ich meinen Leib ja selbst gar nicht komplett sehen kann: Das Spiegelbild ist mithin Urbild meines Leibes als Körper.[28] Därmann radikalisiert diese Beobachtung zu der These, dass das Aussehen des eigenen Leibs im Spiegel „bereits irreduzibel auf die Fremderfahrung verweist.“[29] Denn nur insofern ich mich im Spiegel mit den „Augen der Anderen“ (Hua XIV, S. 79) sehe – da „ich so ja nicht aussehe für mich, sondern so aussehe für einen Andern“ (ebd., S. 509) – , kann ich mich als Leib und Körper verstehen.

(3) Intersubjektivität und Bildlichkeit. Vorgängigkeit der transzendentalen Intersubjektivität.

Dieser Hinweis Därmanns auf eine für die Fremderfahrung konstitutive Spiegelung ist – man ahnt es schon – jener Punkt, an dem die Rolle von medialen Bildern einsetzen könnte. Grundsätzlich nach der Rolle von technischen Bildmedien für die transzendentale Phänomenologie zu fragen, ist – wie Iris Därmann ausführlich herausgearbeitet hat – keineswegs abwegig. So spricht Husserl z.B. selbst von „kinematographischen Bildern“ (Hua XXV, S. 177), denn natürlich kannte Husserl schon Fotografie und Kino: „Keine Imagination, auch die der Phänomenologie nicht, entsteht einzig im verschlossenen Bewusstseins-‚innenraum‘ [...]. Die Photographien haben eide und die Kinematographie hat einen Modus variierender Imagination in die Welt gebracht, die das ‚In-der-Welt-Sein‘ des Phänomenologen begründen.“[30] Gerade die oben kurz erwähnte eidetische Variation wird von Iris Därmann als angestoßen von der Erfahrung des kinematographischen Tricks namhaft gemacht.[31] Aber bezieht sich dies nicht allein auf die phänomenologische Methodologie und weniger auf die von ihr beschriebenen Phänomene selbst? Zwar betont auch Därmann andernorts nochmals explizit, dass „die Beschreibung [!] der Imagination ihre filmische Herkunft nicht verwischen kann“[32], jedoch ist angesichts des „Prinzip[s] aller Prinzipien“[33] der Phänomenologie, sich selbst als reine Beschreibung der Bewusstseinsphänomene zu verstehen, durchaus auch zu fragen, inwiefern die medial ‚kontaminierten‘ Beschreibungen nicht auch auf die Affektion des Bewusstseins durch (dann keineswegs mehr nur externen) Bildern schließen lassen.
So weit, so gut. Jedoch birgt die Argumentation mit der konstitutiven Spiegelung bei genauerer Überlegung erhebliche Schwierigkeiten. In I. und II. geht es um die Frage, wie ‚Spiegelung‘ genau zu verstehen ist und in III. wird argumentiert, dass es möglicherweise überhaupt keiner Spiegelung bedarf. Letztlich wird alles darauf hinauslaufen, dass II. und III. sinnvolle Lösungen ergeben, die jedoch zeigen, dass die transzendentale Konstitution des Anderen nicht auf externe Medien verwiesen ist und somit alle Inszenierung des Anderen etwa im Kino auf die – mit einem Begriff, den Husserl natürlich abgelehnt hätte – ‚medienanthropologische‘[34] Fundamentalerfahrung des Anderen zurückverwiesen bleibt. Technische Bilder können die Fremderfahrung nicht in irgendeiner Weise mitkonstituieren, aber sehr wohl verfremdend in Szene setzen (4).

I. Materielle Spiegelung:
Därmanns Feststellung, „dass sich das Spiegelbild in besonderer oder gar maßgeblicher Weise als dafür geeignet erweisen könnte“[35], den eigenen Leib als Körper ähnlich dem Körper des Anderen darzustellen, drängt die Frage nach anderen Typen von Bildern auf. Wenn man unterstellt, dass eine Form externer Spiegelung in einem materiellen Medium, z.B. Reflexion in Wasser oder einem handelsüblichen Spiegel – Husserl schreibt selbst an einer Stelle: „So ist auch das visuelle Spiegelbild Bild“ (Hua XIV, S. 508) und „Ich war soeben vor dem Spiegel“ (Hua XIII, S. 327), was den Rekurs auf einen wirklichen Spiegel nahe legt[36] –, konstitutiv für die Fremderfahrung ist, wieso sollte dann nur das ‚Spiegelbild‘ maßgeblich sein?
Wäre es also nicht zumindest bedenkenswert, welche Rolle erstens die fotografische[37], filmische und videografische Aufzeichnung meines Körpers – man denke an Familienfotos, -filme, -videos[38] – für die Auffassung meines Leibs als Körper spielen? Zumal solche „reproduktiv[en]“ (Hua I, CM § 54, S. 147) Darstellungen von mir als „Mensch im Bildraum“ (Hua XIV, S. 508) vielmehr noch als das Spiegelbild mir den Blick der Anderen auf meinen Leib als Körper veranschaulichen und zudem meinen Leib im Ablauf einer Bewegung wirklich rundum zeigen können (im Spiegel sehe ich ja wieder nur meine Vorderseite[39])? Und könnte man nicht fragen, welche Rolle zweitens die nächsthöhere Stufe der Inszenierung des Wechselspiels von subjektivem Blick aus dem Leib und Außenansicht des Körpers im fiktionalen Kino spielt? Das Kino böte sich deshalb als Bezugspunkt an (anstelle z.B. der Literatur), weil der gesamte Prozess der analogisierenden Apperzeption bei Husserl vorwiegend – aber nicht nur, s.u. – visuell abläuft: Ständig ist von „Aussehen“ (Hua I, CM § 54, S. 147), von „optische[r] Selbsterfahrung“ (Hua XV, S. 258) etc. die Rede. Wäre also die kinematographische Erfahrung mit „Bildmensch[en]“ (Hua XIV, S. 508) eine mögliche Urstiftung für die Fähigkeit, dem Anderen eine „Phantasie-Innerlichkeit“ (Hua XIV, S. 499) unterzuschieben? Wäre dies nicht auch zu verstehen als eine Weise, in der „die Bildlichkeit sich erstreckt in alle sich äussernde Innerlichkeit hinein“ (Hua XIV, S. 509)?
Allerdings kann die Fremderfahrung als solche nicht an medialen Bildern, ja nicht einmal an Spiegeln hängen, denn sonst würde es ja vor der Erfindung und Ausbreitung des Spiegels[40] bzw. des Kinos keine solche geben, was schlechterdings völlig absurd ist. Man könnte höchstens die Spiegelung als ‚natürliches Bild‘[41] und daher schon immer gegebenes Phänomen (siehe Narziß-Mythos) gegenüber den medialen Bildern bevorzugen und argumentieren, dass die technischen Bilder zusätzliche Optionen der Selbstauffassung als Körper bereitstellen, die in der Moderne an der Stelle der konstitutiven Spiegelung intervenieren können. Allerdings würde das immer noch unterstellen, dass ein Kleinkind, welches prinzipiell keinen Zugang zu Spiegelungen – genauer: zu Spiegelungen, die den ganzen Körper spiegeln[42] – irgendwelcher Art hat, keine Fremderfahrung ausbilden könnte.
Mir scheint, dass der Rekurs auf physische Medien als konstitutiv für die Fremderfahrung –Därmanns Verweis (mit Husserl) auf die kinematographischen Metaphern in den phänomenologischen Deskriptionen verschiedener Wahrnehmungs- und Variationsprozesse kann und soll doch auch nicht bedeuten, dass es ohne Kino diese Prozesse nicht gäbe – in riskante Probleme mündet und daher nicht tragfähig ist: „Ist die einfühlende Vergegenwärtigung eine Art ‚Darstellung‘ und ein Verwandtes mit einer bildlichen Darstellung? [...] Eine eigentliche Bildlichkeit ist das sicher nicht“ (Hua XIV, S. 162).

II. Metaphorische Spiegelung:
Allerdings wäre es zweitens möglich, Spiegelung im metaphorischen Sinn zu verstehen, einen – frei nach Husserl – „neue[n] Spiegelungsbegriff“ (Hua XIV, S. 298) in Anschlag zu bringen. Husserls Satz – „[D]er Andere ist Spiegelung meiner selbst, und doch nicht eigentlich Spiegelung“ (Hua I, CM § 44, S. 125) – verdeutlicht ja erstens, dass es nicht ‚eigentlich‘ um Spiegelung, also wohl nicht um eine Spiegelung in einem physischen Medium geht, und zweitens, dass der Andere sich in mir (und ich mich im Anderen) spiegele – nicht aber, dass ich ein externes Bild werfe. Auch andere Stellen sprechen für diese Auffassung: „So ‚spiegelt‘ sich die fremde Subjektivität in der meinen, indem sie sich mit ihr deckt“ (Hua XIV, S. 502 – man beachte die Anführungszeichen um ‚spiegelt‘). Das hieße, dass der Andere derjenige ist, in dem ich mich eben metaphorisch spiegele (und vice versa).[43]
In dieser Lesart bekäme der bei Husserl zunächst verwirrend wirkende Satz vom „fremden Leibkörper, der sozusagen das an sich erste Objekt ist, wie der fremde Mensch konstitutiv der an sich erste Mensch ist“ (Hua I, CM § 55, S. 153, Hervorheb. J.S.) einen Sinn: Das transzendentale Ego ist kein Teil der Welt, sondern vielmehr jener Ort, jene ‚Szene‘, wo die Welt überhaupt in Erscheinung treten kann. Während der transzendentalen Epoché bin ich keine Person, nicht dieser konkrete Mensch, kann nicht meine körperliche Gestalt, nicht mein Geschlecht voraussetzen, bin keiner Sozialität unterworfen (so lautet jedenfalls die Theorie). Ein transzendentales Ego ist radikal nicht-anthropomorph. Erst die appräsentative Konstitution einer anderen Monade in meiner Monade, wirft in einer Art immanenter Spiegelung ein Bild des ‚Menschen‘ auf mich zurück, macht mich mithin erst zu diesem, konkreten Menschen: „Erst wenn ein Anderer als Mensch da ist für mich, kann ich die Vorstellung von mir gewinnen, die ein Anderer von mir haben kann [...]“ (Hua XIII, S. 420). Das Eigene wird zu einem „Kontrastphänomen“[44]. Eigenes und Fremdes, Selbst und Andersheit wären dann „differentiell, nicht aber nach Art von Urmodus und Modifikat zu bestimmen“[45]. Oder, wie Därmann es formuliert, führt diese Reformulierung zu einer Perspektive, in der es „nur die Fremdheit des Anderen gibt, dem das Eigene seine Herkunft verdankt“[46]: an die Schwelle des für die transzendentale Phänomenologie kaum noch konzeptualisierbaren Unbewussten. Letztlich wäre die transzendentale Intersubjektivität ursprünglich bzw. würde jede Ursprünglichkeit des Eigenen durchstreichen.
So gesehen geht die metaphorische Spiegelung jeder externen Medialität voraus: „Jeder Spiegelauffassung von mir liegt schon die Einfühlung zugrunde“ (Hua XIV, S. 509). Mediale Inszenierungen der Andersheit müssen sie bereits voraussetzen. Subjektiven im Film bekämen Sinn, weil sie die immer schon gegebene Erschütterung, der das Eigene durch die Andersheit des Anderen ausgesetzt ist, verfremdend durchspielen würden; und nicht weil sie etwa konstitutiv in die Prozesse der Apperzeption des Anderen eingebunden wären.

III. Spiegelung und Okulozentrismus:
Schließlich kann man fundamental den ganzen Rekurs auf die Spiegelung in Frage stellen. Husserls Satz lautet in Gänze: „[D]er Andere ist Spiegelung meiner selbst, und doch nicht eigentlich Spiegelung; Analogon meiner selbst, und doch wieder nicht Analogon im gewöhnlichen Sinne“ (Hua I, CM § 44, S. 125). Also scheint eine Spiegelung auch zugunsten der Analogie, der Andere „irgendwie als [...] ‚Analogon‘“ (ebd.) des Eigenen (und vice versa) denkbar zu sein. Die Verlagerung von Spiegelung zu Analogon ist vor allem deshalb interessant, weil sie den Schwerpunkt weg von den schon erwähnten optischen Konnotationen – dem ‚Aussehen‘ etc. – verlegt. Die scheinbare Zentrierung der Theorie der transzendentalen Intersubjektivität auf das Sichtbare[47] wirft ja bereits die Frage auf, wie Intersubjektivität bei (so geborenen) Blinden, deren Erscheinungssysteme eben nicht identisch sind, etwa fungiert.[48] Doch Husserl räumt andernorts ein: „Mein Leib kann ich nicht allseitig, vollseitig sehen, aber durch Selbstbetasten ist er konstituiert und appräsentiert visuelle Gestalt, also auch die des Kopfes und der Augen, und so den ganzen Körper“ (Hua XV, S. 245). Wenn aber doch der ‚ganze Körper‘[49] durch Selbstbetasten visuell appräsentiert ist, wozu bedarf es dann überhaupt noch der – okulozentrischen[50] – Annahme einer konstitutiven Spiegelung? Könnte man nicht annehmen, dass die analogisierende Apperzeption gelingt, indem die durch den Tastsinn aufgebaute Appräsentation meines visuell nicht vollständig sichtlichen Körpers als „Vorsprung in die Möglichkeit“ (Hua XV, S. 246) gerade durch die Begegnung mit dem Körper des Anderen visuell erfüllt wird? Husserl schreibt selbst: „[I]ch [habe] vom Tastbild und nach Analogie ähnlicher äusserer Tastkörper her motiviert ein visuelles Bild meiner Augen“ (Hua XIV, S. 517); und noch expliziter: „Muss denn mein Leib schon so vollständig ‚wie ein anderer Körper‘ konstituiert sein? Jedenfalls nach den zugleich tastbaren und sichtbaren Organen ist er andern Körpern gleich konstituiert“ (ebd., S. 518).[51]
Diese Lesart würde besagen, dass nicht die Spiegelung in toto, sondern die materielle Spiegelung (I.) zu verwerfen und die metaphorische Spiegelung (II.) zu reformulieren ist. Die Erfüllung meines getasteten Leibs durch die Ansicht des Anderen zu einem visuell appräsentierten, entspräche dem, was unter II. als metaphorische Spiegelung gefasst wurde – mit dem großen Vorteil, dass der Rekurs auf den Tastsinn einen latenten Selbstwiderspruch von II. löst: „Wenn ich mich aber als Körper nur durch die Konstitution des Anderen verstehen kann, kann ich nicht umgekehrt den anderen Körper analog meinem als Subjekt auffassen.“[52] Mithin führt III. auf schlüssigerem Weg zu einer ähnlichen Konsequenz wie II.: Die transzendentale Konstitution von Intersubjektivität ist nicht durch externe Spiegelung oder andere Bildtypen bedingt, folglich können diese der Fremderfahrung nur nachfolgen.

(4) Maschinelle Subjektive / Maschinischer Anderer

Aber das heißt natürlich andererseits nicht, dass eine mediale Inszenierung der Andersheit des Anderen den phänomenologisch beschreibbaren Strukturen der transzendentalen Intersubjektivität auf Gedeih und Verderb folgen müsste. Vielmehr ist gerade das Kino der Ort, wo Husserls Frage: „Phantasiere ich mich in den anderen Leib hinein? Kann ich das überhaupt?“ (Hua XV, S. 250) mit einem deutlichen Ja beantwortet werden kann. Jede Body-Switch-Komödie dreht sich unübersehbar um die Frage: „Hiesse das nicht, dass ich meinen Körper verlasse und in den zweiten dort übergleite?“ (ebd.). Immer wieder wurde diese Phantasie in der jüngeren Vergangenheit durchgespielt, so etwa von William Gibson in dessen legendären Cyberpunk-Roman Neuromancer. Dort beschreibt der Autor die Technik der ‚Simstim-Decks‘, die einen „Wechsel in anderes Fleisch“[53] ermöglichen. Filmisch umgesetzt wurde dieser „alte Traum vom kompletten Elektro-Kardio-Enzephalo-LOGO-Ikono-Kinemato-Bio-Gramm“[54] u.a. in Kathryn Bigelows Film Strange Days (1995), in dem eine futuristische Technik die Aufzeichnung und Übertragung von Fremderfahrung ermöglicht – bald schon wird diese Technik einer Droge gleich gehandelt. Wenn derartige technologisch-mediale Zugriffe auf die Fremderfahrung tatsächlich möglich würden[55], verschöbe dies die Phänomenologie der Fremderfahrung auf radikale Weise. Denn dann wäre Husserls Feststellung „Jedes Ich ist eine ‚Monade‘. [...] Sie [die Monaden, J.S.] haben insofern keine Fenster oder Türen, als kein anderes Subjekt reell eintreten kann [...]“ (Hua XIV, S. 260) nicht mehr gültig.
Jedoch selbst, wenn derartiges niemals möglich sein wird, bleibt die Frage nach den möglichen Funktionen der „Umfingierung des Ich und der Welt“ (Hua XV, S. 518), die eine zentrale Rolle für die Phänomenologie spielt[56] und natürlich immer schon Gegenstand fiktiver Literatur und schon zu Lebzeiten Husserls auch des Kinos gewesen ist, von Interesse. Es wäre zu überlegen, ob die von der ‚normalen‘ (vgl. Hua I, CM § 55, S. 154) Form der Fremderfahrung abweichenden medialen Inszenierungen des Anderen nicht u.a. die Funktion haben könnten, die Fremderfahrung in anderen als den ‚normalen‘ Fällen (zumindest in imaginärer Form) zu ermöglichen.
Es sei nochmals eine wichtige Passage Husserls wiederholt: „Der erfahrene fremde Leib bekundet sich fortgesetzt wirklich als Leib nur in seinem wechselnden, aber immerfort zusammenstimmenden ‚Gebaren‘, derart, dass diese seine physische Seite hat, die Psychisches appräsentierend indiziert, das nun in originaler Erfahrung erfüllend auftreten muß. Und so im stetigen Wechsel des Gebarens von Phase zu Phase. Der Leib wird als Schein-Leib erfahren, wenn es damit eben nicht stimmt“ (Hua I, CM § 52, S. 144). Husserl wird bei ‚Schein-Leib‘ vielleicht an Puppen gedacht haben: „Ich erinnere mich der Szene im Berliner Panoptikum: Wie ich erschrak, als mir die allzu liebenswürdige ‚Dame‘ auf der Treppe zuwinkte. Aber wie ich nach einiger Fassung plötzlich erkannte, dass es eine der ‚Puppen‘ war, auf Täuschung berechnet“ (Hua XXIII, S. 423).[57] In dem Moment, wo Husserl noch die Dame wahrnimmt, hat der optische Eindruck, der ‚Wechsel des Gebarens‘ (das Winken) noch hingereicht um die Puppe eben als Anderen wahrzunehmen; sehr bald schon wurden die, vielleicht erotischen und daher Schrecken induzierenden,[58] Appräsentationen Husserls enttäuscht – es war eine Puppe.
Eine Zunahme der Zahl und Varianten der ‚Schein-Leiber‘ und „Bildperson[en]“ (Hua XXIII, S. 40) seit damals ist wohl offensichtlich. Es wimmelt, jenseits solch lokalisierter Orte wie dem Berliner Panoptikum, heute im Film und Fernsehen von Geschichten über Roboter (Descartes’ Automaten), KIs und virtuelle Personen, die allesamt die klare Trennung von Körper-des-Anderen-erfahrbar-als-Leib und Schein-Leib verunsichern.[59] Ein besonders bekanntes Beispiel ist z.B. das ‚Holodeck‘ in den Star Trek-Fernsehserien Next Generation, Deep Space Nine und Voyager. Das Holodeck ist ein Raum an Bord der Raumschiffe (und Raumstationen), in welchem begehbare, audiovisuell absolut ‚realistische‘, haptisch berührbare und olfaktorisch sowie gustatorisch erfahrbare Simulationen erschaffen werden können. Dazu gehören auch virtuelle Personen, die von echten Menschen nicht mehr zu unterscheiden sind – ja eine Episode dreht sich genau darum, dass eine virtuelle Figur Selbstbewusstsein erlangt und wünscht, den simulativen Raum des Holodecks zu verlassen. Husserl hatte selbst einmal die Befürchtung geäußert: „Ist es aber nicht doch möglich, dass [...] alle meine sekundären Erfahrungen von Anderen sich konsequent bestätigen, während die Anderen in sich selbst gar nicht sind?“ (Hua XV, S. 30). In der Tat führt die Proliferation von Schein-Leibern – und seien es nur imaginierte – die transzendentalphänomenologische Frage nach dem Anderen an ihre medialen Ränder: „Nichts scheint uns mehr zu bedrohen als die Täuschung durch den simulierten Anderen.“[60]
Dies wird noch gesteigert – über bloße illusionistische Täuschung hinaus[61] – wenn die Inszenierung des maschinischen Anderen nicht nur einen Scheinleib, sondern auch noch die Subjektive des maschinischen Anderen darstellt: also dem simulierten oder maschinischen Anderen noch ein alter ego zuwachsen lässt. Zwei bekannte, frühe Beispiele dafür sind 2001 – A Space Odyssey (Stanley Kubrick, 1968) und Westworld (Michael Crichton, 1973). In 2001 hat der bedrohliche Supercomputer HAL 9000, prototypisches Phantasma einer fortgeschrittenen Künstlichen Intelligenz, zwar keinen Schein-Leib, aber es wird immer wieder die Subjektive des Computers gezeigt.

Abb. 3 a ‚Auge‘ von HAL 9000, aus: 2001 – A Space Odyssey (1968)

Abb. 3 b Subjektive von HAL 9000, aus: 2001 – A Space Odyssey (1968)

Dass der maschinische Andere ein Anderer ist, obwohl wir ihn als Anderen über kein leibliches Gebaren appräsentieren können, wird hier als schlicht selbstverständlich inszeniert. Und dieser maschinische Andere wird bald „total verrückt“ (Hua XV, S. 31) und tötet die Astronauten. In Westworld geht es um täuschend echte Roboter, also diesmal Schein-Leiber (was in dem Film auch ständig selbst thematisiert wird), die gleichsam als Spielzeuge in einem futuristischen Freizeitpark dienlich sind. Wieder werden die Maschinen verrückt und ein Westernheld-Roboter – verkörpert durch Yul Brynner – macht Jagd auf die Besucher des Freizeitparks. Dabei bekommt der Zuschauer mehrere Subjektiven aus Sicht des Roboters zu sehen, die durch gepixelte Filmbilder dargestellt werden. Diese sind die ersten mit Computern bearbeiteten Bilder in der Geschichte des kommerziellen Kinos.[62] Vielleicht ist diese Inszenierung der ersten computerbearbeiteten Bilder im Film ausgerechnet als maschinische Subjektive kein bloßer Zufall.

Abb. 4 a Etablierung des PoV des Roboters (Yul Brynner), aus: Westworld (1973)

Abb. 4 b Subjektive des Roboters (ein wegreitender Mann), aus: Westworld (1973)

Denn wie Lev Manovich herausgearbeitet hat, wurde das maschinische Sehen (machine vision) nach dem Zweiten Weltkrieg immer wichtiger: „The emergence of the field of computer vision is a part of this cognitive revolution, a revolution that was financed by the military escalation of the cold war.“[63] Das Ziel dieser ‚kognitiven Revolution‘ war vor allem, aus den ungeheuren Mengen etwa von Aufklärungsfotos die relevanten herauszufiltern (neben der automatischen Erkennung etwa von Feindflugzeugen). Wie man daran schon erahnen kann, gilt ähnliches auch für das nah verwandte Paradigma der Künstlichen Intelligenz. Die Maschinen sollen die mit der inflationären Ausbreitung ständig zunehmende und für Menschen nicht mehr überschau- und kontrollierbare Flut von Informationen und Daten beherrschbar machen – dasselbe Problem sucht mittlerweile die Datennetze heim und ‚intelligente Agenten‘ sind darauf eine mögliche Antwort.[64] Insofern sind sehende und ‚intelligente‘ Maschinen bzw. Programme eine notwendige Folge der ständig wachsenden Verfügbarkeit von Informationen aller Art.
Es scheint, als ob die (in den reichen Ländern) stets zunehmende Herstellung und Distribution von Kommunikationen und Informationen aus sich selbst heraus andere ‚Bewusstseine‘ erzeugt, die diese Ströme allererst verarbeiten können. Wir müssen lernen mit diesen ‚anormalen‘ Anderen zu leben oder wir werden in der so genannten Informationsgesellschaft überhaupt nicht mehr leben können.
Natürlich sind die hier diskutierten Darstellungen nur fiktive Inszenierungen maschinischer Subjektivität, nichts an ihnen beweist, dass es den maschinischen Anderen gibt. Aber es ist nicht auszuschließen, dass solche Filme mindestens den Nebeneffekt haben könnten, die Grenzen der ‚Umfingierung des Ich und der Welt‘ zu erweitern. Es wird möglich zu fingieren, dass Computer Andere sind, aus ihrem interaktiven ‚Gebaren‘ heraus wirklich ein maschinisches alter ego zu appräsentieren. So wird vielleicht eine Welt vorbereitet[65]‚ in der die Menschen nicht mehr allein kulturelle Wesen sind.






[1] Ich danke Bernhard Ebersohl für Recherchen und Korrekturen und vor allem Nicola Glaubitz, die mich in einem abendlichen Gespräch auf eine wirklich gute Idee brachte.
[2] Paul Virilio / Friedrich Kittler: Die Informationsbombe. Ein Gespräch, ARTE November 1995.
[3] Das ist eine der Implikationen des von Derrida bekanntlich immer wieder gegen die ‚Metaphysik der Präsenz‘ erhobenen Vorwurfs der Schriftvergessenheit, vgl. Jacques Derrida: Grammatologie [1967], Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1992, insb. S. 21 und 23, wo Derrida auf die „Kinematographie“, auf das „kybernetische Programm“, die „Phonographie“ etc. eingeht.
[4] Zuletzt besonders penetrant Timo Skrandies: Echtzeit – Text – Archiv – Simulation. Die Matrix der Medien und ihre philosophische Herkunft, Bielefeld: Transcript 2003.
[5] Aus deren Sicht dann die Philosophie selbst wieder der Kritik verfallen kann. Vgl. in Bezug auf die im Folgenden zentrale Phänomenologie, Friedrich Kittler: Phänomenologie versus Medienwissenschaft, http://www.hydra.umn.edu/kittler/istambul.html (22.08.2004).
[6] Vgl. Allan Casebier: Film and Phenomenology, Cambridge: Cambridge Univ. Press 1991 und insbesondere Vivian Sobchak: The Address of the Eye. A Phenomenology of Film Experience, Princeton: Princeton Univ. Press 1993. Das Comeback der Phänomenologie war so eindrücklich, dass in einem neueren Sammelband zum Stand der Filmtheorie der ‚Film-Phänomenologie‘ ein eigenes Kapitel gewidmet wird, vgl. Drehli Robnik: Körper-Erfahrung und Film-Phänomenologie, in: Jürgen Felix (Hrsg.): Moderne Film Theorie, Mainz: Theo Bender 2002, S. 246-280. Zur Geschichte phänomenologischer Filmtheorie siehe Dudley Andrew: The Neglected Tradition of Phenomenology in Film Theory, in: Wide Angle, Vol. 2, No. 2, 1978, S. 44-49 und Vivian Sobchak: Film, in: Lester Embree u.a. (Hrsg.): Encyclopedia of Phenomenology, Dordrecht: Kluwer 1997, S. 226-232.
[7] René Descartes: Meditationen über die erste Philosophie [1656], Lateinisch/Deutsch, Stuttgart: Reclam 1994, S. 93, Hervorheb. J.S.
[8] Also über die Platitüde, dass der Andere doch in der Rede erschiene, hinaus, vgl. dazu Dan Zahavi: Husserl und die transzendentale Intersubjektivität. Eine Antwort auf die sprachpragmatische Kritik, Dordrecht: Kluwer 1996, insb. S. 152-164.
[9] Einen kleinen historischen Überblick liefert Norman Friedman: Point of View in Fiction: The Development of a Critical Concept, in: PMLA 70, 1955, S. 1160-1184.
[10] Vgl. zur Differenzierung dieses Konzeptes in Bezug auf das Kino Edward Branigan: Point of View in the Cinema. A Theory of Narration and Subjectivity in Classical Film, Berlin u.a.: Mouton 1984. Vgl. auch Dorrit Cohn: Transparent Minds. Narrative Modes for Presenting Consciousness in Fiction, Princeton: Princeton University Press 1978 – schon der Titel dieser Studie zeigt an, dass die realiter absolut undurchdringliche Opazität des Fremdpsychischen in den fiktiven Modi der Literatur leicht transparent zu machen ist.
[11] Zu The Lady in the Lake, vgl. Edward Branigan: Narrative Comprehension and Film, London u.a.: Routledge 1992, S. 142-146.
[12] Außer vielleicht bei Sobchak: Address of the Eye, a.a.O., S. 128-142, wo es aber um den Film in toto als betrachtendes Subjekt geht. Jede Theorie der Inszenierung von Fremderfahrung müsste wahrscheinlich auch mit dem ethnologischen Problem der Darstellung des ethnisch Anderen in einen Dialog treten, vgl. generell Iris Därmann: Der Fremde zwischen den Fronten der Ethnologie und Philosophie, in: Philosophische Rundschau, Bd. 43, H. 1, 1996, S. 46-63.
[13] Zu ‚normal‘ und ‚anormal‘ unten mehr.
[14] Friedrich Kittler: Synergie von Mensch und Maschine, in: Florian Rötzer / Sarah Rogenhofer (Hrsg.): Kunst Machen. Gespräche über die Produktion von Bildern, Leipzig: Reclam 1993, S. 83-102, hier S. 101.
[15] Im Folgenden werden über Siglen zitiert: Edmund Husserl: Gesammelte Werke [= Husserliana], Den Haag u.a.: Martinus Nijhof, Bd. 1: Cartesianische Meditationen [frz. 1931] und Pariser Vorträge, 1950/21963, hrsg. v. Stephan Strasser [im Folgenden zitiert als Hua I, CM §]. Weiterhin werden aus den Husserliana zitiert: Edmund Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Buch 1 [1913], 1950, hrsg. v. Walter Biemel [im Folgenden zitiert als Hua III]; Edmund Husserl: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass, Erster Teil 1905-1920, hrsg. v. Iso Kern, 1973 [im Folgenden zitiert als Hua XIII]; Edmund Husserl: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass, Zweiter Teil 1921-28, hrsg. v. Iso Kern, 1973 [im Folgenden zitiert als Hua XIV]; Edmund Husserl: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass, Dritter Teil 1928-35, hrsg. v. Iso Kern, 1973 [im Folgenden zitiert als Hua XV]; Edmund Husserl: Formale und transzendentale Logik, hrsg. v. P. Janssen, 1974 [im Folgenden Hua XVII]; Edmund Husserl: Phantasie, Bildbewusstsein, Erinnerung. Zur Phänomenologie der anschaulichen Vergegenwärtigung. Text aus dem Nachlass, hrsg. v. Eduard Marbach, 1980 [im Folgenden zitiert als Hua XXIII]; Edmund Husserl: Aufsätze und Vorträge (1911–1921), hrsg. v. Thomas Nenon / Hans Rainer Sepp, 1987 [im Folgenden zitiert als Hua XXV]. Die von Husserl gelegentlich vorgenommenen Sperrungen werden hier der Lesbarkeit halber vernachlässigt.
[16] Die Sprache als Kommunikationsmittel, als Zeichensystem gehört der Welt an, die Sprache ist in diesem Sinne mundan. In der transzendentalen έποχή darf jedoch auf nichts zurückgegriffen werden, das der Welt, deren Konstitution im transzendentalen Feld erst phänomenologisch eruiert werden soll, entspringt (vgl. Hua I, CM § 8, S. 58f. wo Husserl zur transzendentalen Reduktion bemerkt: „Mit den Anderen verliere ich natürlich auch die ganzen Gebilde der Sozialität und der Kultur“). Allerdings verwickelt sich die transzendentale Phänomenologie hier gewissermaßen in einen performativen Selbst-Widerspruch. Könnte ich als Phänomenologe überhaupt die Sprache einklammern, ohne unverständlich, ja schweigend zu werden? Setzt die Benutzung von Sprache, das Schreiben von Büchern, deren Adressierungscharakter nicht bereits die Welt und die Anderen voraus? Vielleicht ist dies einer der Punkte, auf die Merleau-Ponty hinauswollte, als er seiner Phänomenologie der Wahrnehmung schrieb: „Die wichtigste Lehre der [transzendentalen, J.S.] Reduktion ist so die der Unmöglichkeit der vollständigen Reduktion“ (Maurice Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung, Berlin: De Gruyter 1966, S. 11).
[17] Eine weitaus detailliertere Einführung liefert Julia V. Iribarne: Husserls Theorie der Intersubjektivität, Freiburg / München: Alber 1994.
[18] John Sallis: On the Limitation of Transcendental Reflection or is Intersubjectivity Transcendental?, in: The Monist, 55, 1971, S. 312-333 bestreitet, dass es möglich ist, eine solche Sphäre der Eigenheit zu erreichen, da sie nur durch den immer schon gegebenen Bezug auf den Anderen überhaupt Sinn haben kann – insbesondere gilt das für kulturelle Objekte, die ohne Andere schlechthin nicht da wären – ein transzendental reduzierter Tisch (vgl. Hua I, CM § 34) ist eben kein Tisch mehr.
[19] Husserl verwendet die Wortbildungen „primordial“ (frz.) und „primordinal“ (lat.) in den Cartesianischen Meditationen nebeneinander, vgl. dazu Iso Kern: Einleitung des Herausgebers, in: Hua XV, S. xv-lxx, hier S. xviii. In Anlehnung an die editorischen Anmerkungen von Elisabeth Ströker: Editorischer Bericht, in: Edmund Husserl: Cartesianische Meditationen, Hamburg: Meiner 1995, S. xxix-xxxiv, hier S. xxxiii f. wurde hier „primordial“ der Vorzug gegeben.
[20] Zu dem Problem, inwiefern Husserl durch den Ausgang vom Eigenen als ‚Urmonade‘ die Andersheit des Anderen nicht doch tendenziell in einer ‚Egozentrik‘ unterdrückt, vgl. Bernhard Waldenfels: Erfahrung des Fremden in Husserls Phänomenologie, in: Phänomenologische Forschungen, Bd. 22, 1989, S. 39-62. Insbesondere Emmanuel Levinas hat diesen Punkt an Husserl immer wieder kritisiert, siehe besonders luzide dazu Jacques Derrida: Gewalt und Metaphysik. Essay über das Denken Emmanuel Levinas, in: ders.: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1972, S. 121-235, insb. S. 186-203.
[21] An dieser Formulierung hat Klaus Held: Das Problem der Intersubjektivität und die Idee einer phänomenologischen Transzendentalphilosophie, in: Ulrich Claesges / Klaus Held (Hrsg.): Perspektiven transzendentalphänomenologischer Forschung. Für Ludwig Landgrebe zum 70. Geburtstag von seinen Kölner Schülern, Den Haag: Martinus Nijhoff 1972, S. 3-60 Anstoß genommen.
[22] Vgl. eine ebensolche Formulierung bezüglich der göttlichen Transzendenz: „Auch Gott ist für mich, was er für mich ist, aus meiner eigenen Bewußtseinsleistung, auch hier darf ich aus Angst vor einer vermeinten Blasphemie nicht wegsehen, sondern muß das Problem sehen. Auch hier wird wohl, wie hinsichtlich des Alterego, Bewußtseinsleistung nicht besagen, daß ich diese höchste Transzendenz erfinde und mache“ (Hua XVII, § 99).
[23] Ob allerdings das eidos ‚transzendentales Ego‘ mit einem transzendental reduzierten ‚eidos ego‘ identisch ist, kann hier nicht diskutiert werden.
[24] Vgl. Iris Därmann: Die tragische Szene. Zur radikalen Unähnlichkeit des Fremden bei Freud, Husserl, Lacan, in: dies. / Christoph Jamme: Fremderfahrung und Repräsentation, Weilerswist: Velbrück 2002, S. 277-320, insb. S. 296-307.
[25] Vgl. Hua I, CM § 54, S. 147: „Seine Erscheinungsweise paart sich nicht in direkter Assoziation mit der Erscheinungsweise, die mein Leib jeweils wirklich hat (im Modus Hier) [...].“ Und auch Hua XIV, S. 517: „Visuell: Mein Leib ist unvollständig sichtlich.“
[26] Därmann: Die tragische Szene, a.a.O., S. 301.
[27] Ebenda, S. 302f. Husserl schreibt über seine Erfahrungen „vor dem Spiegel“ selbst: „Wichtig ist das insofern, als ich dabei die Anschauung gewinne (die Evidenz) von der Möglichkeit, dass ein ausserhalb des hier stehendes Ding (ein Dort) ein Leibesding sei [...]“ (Hua XIII, S. 327).
[28] Obwohl es hier eine verführerische Nähe zu geben scheint, darf die ‚Spiegelung‘ bei Husserl keinesfalls einfach mit der konstitutiven Rolle einer externen Spiegelung bei Jacques Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint, in: ders.: Schriften I, hrsg. v. Norbert Haas, Freiburg / Olten: Quadriga 1973, S. 61-70 gleichgesetzt werden. Darauf hat insbesondere Hans-Dieter Gondek: Husserl als Urheber des Lacanschen Spiegelstadiums? Überlegungen im Ausgang von einer verunglückten Studie über Jacques Lacan, in: Phänomenologische Forschungen, Sonderdruck Neue Folge 1, 2. Halbband, Freiburg / München 1996, S. 268-275 hingewiesen. Zum Bildbegriff bei Lacan vgl. auch Iris Därmann: Unter dem Blick bildlicher Medien, in: Günther Pöltner (Hrsg.): Phänomenologie der Kunst, Frankfurt a.M. u.a. 2000, S. 13-42.
[29] Därmann: Die tragische Szene, a.a.O., S. 303.
[30] Iris Därmann: Tod und Bild. Eine phänomenologische Mediengeschichte, München: Fink 1995, S. 313.
[31] Ebenda, S. 316.
[32] Ebenda, S. 274.
[33] Vgl. Hua III, S. 52: „Am Prinzip aller Prinzipien: daß jede originär gebende Anschauung eine Rechtsquelle der Erkenntnis sei, daß alles, was sich uns in der ‚Intuition‘ originär, (sozusagen in seiner leibhaften Wirklichkeit) darbietet, einfach hinzunehmen sei, als was es sich gibt, aber auch nur in den Schranken, in denen es sich da gibt, kann uns keine erdenkliche Theorie irre machen.“
[34] Vgl. Ernst Wolfgang Orth: Anthropologie und Intersubjektivität. Zur Frage von Transzendentalität oder Phänomenalität der Kommunikation, in: Phänomenologische Forschungen, 4, 1977, S.103-129 zu den Potenzialen einer ‚transzendentalen Anthropologie‘.
[35] Därmann: Die tragische Szene, a.a.O., S. 303.
[36] Vgl. auch Hua XXIII, S. 495, wo Husserl sich explizit auf materielle Spiegel bezieht: „[M]ag es sich auch um einen verzerrenden Spiegel, einen gefärbten etc. handeln [...].“
[37] Und Fotografien wurden ja seit ihren frühesten Anfängen – zumal im Falle der stark reflektierenden Daguerreotypen – mit Spiegeln verglichen, so z. B. bei Sir Oliver Wendell Holmes: The Stereoscope and the Stereograph, in: Atlantic Monthly, No. 3, Juni 1859, S. 737-748, hier S. 739, wo die Daguerreotype als „mirror with a memory“ bezeichnet wird.
[38] Vgl. dazu Barry King: Über die Arbeit des Erinnerns. Die Suche nach dem perfekten Moment, in: Herta Wolf (Hrsg.): Diskurse der Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Bd. 2, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003, S. 173-214.
[39] Es sei denn man nähme, was selten genug geschieht, „mehrere Spiegel“ (Hua XIII, S. 327).
[40] Vgl. Sabine Melchior-Bonnet: The Mirror: A History, New York, NY / London: Routledge 2001.
[41] Weswegen Eco Spiegelbilder ja nicht zu den Zeichen zählt, vgl. Umberto Eco: Über Spiegel, in: ders., Über Spiegel und andere Phänomene, München / Wien: Hanser 1993, S. 26-61. Vgl. auch Hua XXIII, S. 495 zum Spiegel: „Es ist das Bild hier andererseits nicht ganz ohne Realität. Es hat die Realität eines Reflexes, der auf die sich darin reflektierende Sache zurückverweist.“
[42] Vgl. Hua XIII, S. 327 zum Spiegelbild: „Freilich, der [mein Leib, J.S.] sieht nie so aus, dass er dem Bild ganz entspricht.“
[43] Vgl. Sobchak: Address of the Eye, a.a.O., S. 104-115 zu Lacan, insb. S. 108: „However, the infant‘s primary moment of identification need not come about literally ast he result of contemplating a mirror. It occurs through the child‘s perceptual identification with a powerful and significant Other – at this early point of life with his mother (or someone who serves the maternal nurturing function). This Other presents a unified and powerful body upon which the helpless infant gazes and upon which the infant depends.“
[44] Waldenfels: Erfahrung des Fremden, a.a.O., S. 54. Siehe Hua XIII, S. 247, wo es schon 1914 bei Husserl um die ‚Konstitution des Ich im Kontrast zum Du‘ geht. Vgl. Orth: Anthropologie und Intersubjektivität, a.a.O., S. 121.
[45] Waldenfels: Erfahrung des Fremden, a.a.O., S. 57.
[46] Därmann: Die tragische Szene, a.a.O., S. 305.
[47] Vgl. Herbert Spiegelberg: Perspektivenwandel: Konstitution eines Husserlbildes, in: Edmund Husserl 1859-1959 (Phaenomenologica 4), Den Haag: Martinus Nijhoff 1959, S. 56-63, der berichtet, dass Husserl die Phänomenologie als „Augengebrauch“ (S. 58) bezeichnet habe.
[48] Husserl weiß das natürlich selbst: „Nun wissen wir wohl, daß es so etwas wie Anomalitäten gibt, Blinde, Taube und dgl., daß also keineswegs stets die Erscheinungssysteme absolut identische sind [...]“ Sein Lösungsvorschlag: „Aber die Anomalität muß sich als solche erst konstituieren, und kann es nur auf dem Grunde einer an sich vorangehenden Normalität“ (Hua I, CM § 55, S. 154) ist aber nicht nur problematisch (Was ist denn genau der ‚Normalfall‘ als Urform? Sind Brillenträger wie Husserl schon anormal? Wer definiert das?), sondern auch ungenügend, denn sie kann nicht beantworten, wie Blindgeborene den Anderen apperzipieren, würde dieser Prozess derartig an das Sehen gebunden sein, wie Husserl gelegentlich zu unterstellen scheint.
[49] Vgl. Hua XV, S. 245: „Mein Kopf aber [sieht so aus], als wenn ich unabhängig voneinander fungierende Augen und Augenkinästhesen hätte (Augen an Augenarmen), dass ich mich überall so besehen und die Augen selbst sich wechselseitig so besehen könnten, wie ich mich betaste, wie ein Tastglied das andere betastet.“
[50] Vgl. zur Dominanz des Sehens in der Philosophie Husserls David Michael Levin: The Philosopher‘s Gaze: Modernity in the Shadows of Enlightenment, Berkeley u.a.: University of California Press 1993, S. 60-93.
[51] Vgl. Hua XV, S. 249: „Ich kann den Andern betasten – ‚fleisch‘ähnliche Körperlichkeit, ich in der Ruhe, er im Dort ebenfalls. Brauche ich da mehr?“ Gute Frage.
[52] Gisbert Hoffmann: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Kritische Betrachtungen zu Texten aus Husserls Nachlaß, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung, 29, 1975, S. 138-149, hier S. 140f.
[53] William Gibson: Neuromancer, Hamburg / Frankfurt a.M.: Zweitausendeins 1996, S. 77.
[54] Jacques Derrida: Die Postkarte von Sokrates bis an Freud und jenseits, 1. Lieferung, Berlin: Brinkmann und Bose, 21989, S. 87.
[55] Vgl. William Boddy: Archaeologies of Electronic Vision and the Gendered Spectator, in: Screen, Vol. 35, No. 3, 1994, S. 105-122, hier S. 108 weist daraufhin, dass es derartige Phantasmen bereits während der Einführung des Radios gab.
[56] Vgl. Därmann: Tod und Bild, a.a.O., S. 308-322.
[57] Vgl. auch Hua XXIII, S. 40: „Wir ‚wissen‘ zwar, dass es Schein sei, aber wir können uns nicht helfen, wir sehen einen Menschen.“
[58] Vgl. Därmann: Tod und Bild, S. 284.
[59] Vgl. die interessante und materialreiche Studie von Scott Bukatman: Terminal Identity. The Virtual Subject in Postmodern Science Fiction. Durham / London: Duke University Press 1993, der verschiedene Formen ‚virtueller Subjektivität‘ im Science Fiction-Genre untersucht hat, wenngleich nur unter kursorischem Rückgriff auf die Phänomenologie. Vgl. auch Käte Meyer-Drawe: Menschen im Spiegel ihrer Maschinen, München: Fink 1996.
[60] Hans Blumenberg: Höhlenausgänge, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989, S. 446f. unter explizitem Bezug auf Husserl.
[61] Die ja etwa auf den Einsatz von gestischen und mimischen Codes, wie sie schon früh in der experimentellen Psychologie untersucht worden sind (etwa durch Egon Brunswik), oder auf die Vortäuschung verständiger Kommunikation wie in dem Programm ELIZA von Weizenbaum, oder schon im Turingtest (was übrigens nochmals belegt, dass sprachliche Kommunikation nicht hinreicht für die Begründung von Intersubjektivität) reduzierbar wäre.
[62] Gary Demos, der später in Futureworld (1976) mit Whitney die erste hochauflösende Computergrafik im kommerziellen Kino entwarf, schrieb mir in einer E-Mail (25.08.2004): „I did not work on Westworld in 1973. [...] John Whitney Jr., however, did that work. [...] The Westworld ‚Point of View‘ was a low-resolution block pattern made from the scanned color film separations.“
[63] Lev Manovich: Modern Surveillance Maschines: Perspective, Radar, 3-D Computer Graphics and Computer Vision, in: Thomas Y. Levin / Ursula Frohne / Peter Weibel: CTRL [SPACE]. Rhetorics of Surveillance from Bentham to Big Brother, ZKM, Karslruhe 12.10.2001-24.02.2004, S. 382-395, hier S. 391.
[64] Vgl. Jens Schröter: 8448 verschiedene Jeans. Zu Wahl und Selektion im Internet, in: Friedrich Balke / Gregor Schwering / Urs Stäheli (Hrsg.): Paradoxien der Entscheidung, Bielefeld: Transcript 2004, S. 117-138 und Jörg Pflüger: Distributed Intelligence Agencies, in: Martin Warnke / Wolfgang Coy / Georg Christoph Tholen (Hrsg.): HyperKult. Geschichte, Theorie und Kontext digitaler Medien, Basel / Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Nexus 1997, S. 433-460.
[65] Vgl. Severin Müller: ‚Narbiger Silberball‘ und ‚Welthorizont‘. Phänomenologie des Phantastischen bei Edmund Husserl und Arno Schmidt (‚Gadir‘), in: Günther Pöltner (Hrsg.): Phänomenologie der Kunst, Frankfurt a.M. u.a. 2000, S. 43-85, hier S. 83: „Die Bilder imaginären Andersseins öffnen die Massivität der bestehenden Welt, sie eröffnen die Spielbreite möglichen Wirklichseins [...].“