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Jens Schröter

Lara Croft. Funktionen eines „virtuellen Stars”


1. Einleitung


Ende 1996 erscheint Tomb Raider1, das von Core/Eidos entwickelte Computerspiel und wird in den darauf folgenden Jahren mit Tomb Raider2, 3 und 4 fortgesetzt. Diese Abenteuer-Spiele entwickelten sich schnell zu Verkaufsknüllern, und die „Protagonistin” dieser Spiele, die alte Ruinen ausforschende und sich gegen Wölfe, Falltüren, unwegsames Gelände und vieles mehr behauptende Archäologin Lara Croft avancierte zum Star - dieses Wort sei hier mit Vorsicht benutzt: Ob es angemessen ist, wird zu diskutieren sein.


Der Artikel gliedert sich wie folgt: Zunächst wird diskutiert, wieso man sich überhaupt mit solchen „modischen” Phänomenen wie Lara Croft oder anderen Ausprägungen einer Computer-Populärkultur beschäftigen sollte. Im folgenden Abschnitt soll ein keineswegs Vollständigkeit beanspruchender Überblick über die verschiedenen Erscheinungsweisen von Lara Croft gegeben werden. In Abschnitt 4. schließlich sollen zwei Funktionen dieser Figur beleuchtet werden, die ein wichtiger Teil dessen ist, was man eine zwar noch im Entstehen befindliche, aber schon weitverbreitete Computer-Populärkultur nennen könnte. Dabei geht es zum einen um die Ankoppelung von bestimmten Computerpraktiken an Rezeptionsmodalitäten, die aus der Mode, der Popmusik und den Film- und Fernsehkulturen bereits bekannt sind - hauptsächlich das Starwesen, und insbesondere um die Frage nach dem „wirklichen Leben” der Stars. Zum zweiten soll, insofern das Starwesen immer verknüpft ist mit dem begehrten Körper und auch weil das Material und seine Kontextualisierungen eine Beschäftigung mit dieser Thematik zu erzwingen scheinen, die Funktion des Körperbildes von Lara Croft diskutiert werden. Dabei wird besondere Beachtung auf die neuartige interaktive und virtuelle Form des Körperbildes zu legen sein, die sich mindestens graduell von den nicht-interaktiven Körperbildern, beispielsweise denen des Kinos und des Fernsehens, unterscheidet. Und schließlich soll das Körperbild von Lara Croft versuchsweise in größere gesellschaftliche Zusammenhänge eingeordnet werden.


2. Computertechnologie – Populärkultur – Semantik


Es gibt einen Ansatz oder eine Reihe eng verwandter Texte, die die apparativen Strukturen der Hardware der Computertechnologie und deren militärische Genealogie in den Vordergrund rücken. Hier wird betont, daß Semantiken wie z. B. die bunten Benutzeroberflächen und Desktops etwa von MacOS oder Windows 95/98 vorwiegend den Zweck haben, Usern den Zugang zur Hardware zu versperren.[1] Und aus der militärischen Genealogie der Computertechnik und insbesondere des Joysticks[2] folgt dann: „Mögen die Joysticks von Atari-Spielen aus Kindern lauter Analphabeten machen, Präsident Reagan hieß sie gerade darum willkommen: als Trainingsplatz künftiger Bomberpiloten. Jede Kultur hat ihre Bereitstellungsräume, die Lust und Macht legieren”.[3] D.h. unabhängig von Semantiken und, was problematischer ist, unabhängig von situationalen und diskursiven Einbettungen, wären Computerspiele (zumindest Actionspiele) Trainingslager, die aus Kindern und Jugendlichen Soldaten machen.

Problematisch ist diese Ausklammerung historischer und diskursiver Kontextualisierungen aus folgendem Grund: Die Insistenz auf den militärischen Ursprüngen der Computertechnik impliziert doch offenbar, daß sich die (mindestens auch) soziopolitische Katastrophe des Krieges und die von ihr produzierten Subjektpositionen in die Technik „sedimentieren” oder einschreiben können (sonst hätte die ständige Betonung der Rolle des Krieges keinerlei Bedeutung)[4]; wenn man jedoch einräumt, daß sich das soziale Ereignis des Krieges in die Technologie einschreiben kann (was übrigens in Spannung zu dem sonst oftmals betonten Primat der Technik gegenüber dem sozialen Feld steht), dann kann man jedenfalls nicht prinzipiell zurückweisen, daß dies nicht auch für andere soziale Strukturen und Prozesse (Kommerzialisierung, aber auch populär- oder subkulturelle Praktiken) in vielleicht anderen Maßen gilt. Dabei bliebe noch die Frage offen, ob und inwieweit die militärische Formierung einer Technik durch andere Formierungen „verdrängt” oder „verformt” werden kann.[5]


Ich will die theoretische Richtigkeit und Notwendigkeit medienarchäologischer Untersuchungen nicht in Zweifel ziehen. Ich glaube nur, daß es reduktionistisch ist, bunte Bilder auf Rechnern, anwenderfreundliche Benutzeroberflächen und die Rückbindung der Computertechnologie an vertraute Strukturen wie beispielsweise das Starsystem allesamt zu gleichermaßen ephemeren Oberflächenphänomenen zu degradieren und nur noch die Schaltung und Codes hinter den Oberflächen zu decodieren. Dies ist reduktionistisch, weil die massenhafte Verbreitung von neuen Medien, d.h. nichts anderes als ihre historische Durchsetzung, entscheidend von solchen Prozessen der Vereinfachung und Vertrautmachung abhängt.[6] Kittler selbst hat dies indirekt eingeräumt: „[A]lle Techniken und Wissenschaften benötigen Gebrauchsanweisungen”.[7] Viele Autoren sprechen auch von „domestification”, die sich schon am Terminus Home Computer zeigt.[8] Ein gutes historisches Beispiel dafür ist die breite Durchsetzung der Fotografie nach 1880 aufgrund Eastman Kodaks äußerster Vereinfachung des fotografischen Prozesses für „Normal-User”: You press the button and we do the rest war der Slogan, der für heutige Ohren bereits sehr nach Microsoft klingt. Ähnliches ist in der Geschichte des Radios zu beobachten: Bis etwa 1930 setzte sich das Radio, das zuvor (im Heimbereich) eine Aktivität von Hobby-Bastlern und Radio-„Freaks” war, breit in den USA durch. Dazu mußte sich seine technische Form ändern, und plötzlich häuften sich seitens der Hobby-Aktivisten Klagen über das jetzt so „benutzerfreundliche” Radio.[9]


Die u.a. von Sybille Krämer vorgetragene Klage über „[d]as anthropomorphe Technikmodell”, welches „[d]as, was an den technischen Apparaturen unvertraut und ungewöhnlich ist, dem Menschen vertraut und gewöhnlich”[10] macht, übersieht trotz ihrer theoretischen Richtigkeit gerade einen wichtigen Punkt: Die vielbeschworene „digitale Revolution” konnte nur dadurch zum Thema werden, daß die Computertechnik „gewöhnlich” wurde, d.h. heute auf fast jedem Schreibtisch der sogenannten westlichen Welt steht. Die rasche Expansion des Internets nach 1993, die heute so viel zu denken gibt, geht auf die Einführung des WWW resp. graphischer Browser wie Mosaic und Netscape Navigator mit ihren sowohl Bildmedien als auch die Buchform zitierenden Oberflächen zurück.[11] Die Oberflächen sind nicht ein bloßes Epi-Phänomen der technologischen Basis, sie besitzen eine eigene Funktionalität, die von der Geschichte der Computertechnologien nicht als „Störgröße” abgetrennt werden kann.


Gerade die Genealogie der Home- und Personalcomputer (ich kann diese Begriffe hier nicht näher ausdifferenzieren) ist von Anfang an von „benutzerfreundlichen” Interfaces und auch von Computerspielen begleitet.[12] 1968 stellte Douglas Engelbart in expliziter Anlehnung an Vannevar Bushs Memex, das schon 1945 in Analogie zu einem „Schreibtisch” konzipiert war, sein NLS (= oN-Line System) vor, welches eine Maus, ein Fenstersystem und einen Word Processor enthielt und darin in mancher Hinsicht die heutigen PCs vorwegnahm.[13] Die sich nach der Einführung von Intels 4004 im Jahre 1971 und später des Intel 8008 und 8080 langsam herausbildende PC-Industrie verstand die Benutzeroberflächen als die einzige Möglichkeit, Computer unter die Leute zu bringen. Ja, mehr noch war die Verbreitung von Computern eine explizite sozialrevolutionäre Utopie: Computer to the People war ein Slogan der frühen 70er.[14] Und der Anschluß an populärkulturelle Semantiken aus Film und Fernsehen war auch in der frühen PC-Industrie schon zu verzeichnen: Der 1974 von MITS vertriebene Altair 8800 war nach einem Sternensystem aus der bereits damals äußerst populären Fernsehserie Star Trek benannt worden.[15]


Die „Benutzerfreundlichkeit” ist eine Art und Weise, wie ein bestimmter Teil der Computertechnologie als, wie Kittler sagt, „Kompromiß zwischen Ingenieuren und Marketingexperten”[16]historisch real geworden ist. Sie ist eine notwendige Komplexitätsreduktion, um die Anschlußfähigkeit des „neuen Mediums” Computer herzustellen. Selbstverständlich bleibt richtig, daß die prinzipielle „open-endedness”[17] durch Betriebssysteme, Prozessorarchitekturen und desinformative Handbücher verengt werden kann.[18] Jedoch muß die völlig berechtigte Kritik an der Benutzeroberflächen-Monokultur, wie sie durch das Fast-Monopol von Microsoft im Home- und Personalbereich tatsächlich besteht, einen Pluralismus von Benutzeroberflächen fordern, statt sich immer auf eine essentialistisch gefärbte „Maschine” zu fixieren, die ohne Interface kaum mehr operational wäre.[19] Solche essentialistischen (und gewissermaßen techno-metaphysischen) Fixierungen führen letztlich zur mythischen Beschwörung des Urvaters Turing, der noch reine Binärzahlenkolonnen lesen konnte...


Leslie Haddon hat in ihrer Studie zur Genealogie der Home- und Personalcomputer gezeigt, daß schon und gerade in der ersten Welle der Ausbreitung der Homecomputer nach 1980 der Anschluß dieser Geräte an die zu dieser Zeit gerade boomenden Videospielkonsolen eine wichtige Verkaufsstrategie war.[20] Gerade am Fall des 1982 erstmals auf dem Markt erschienenen und im Laufe der achtziger Jahre zum Kultcomputer avancierten Commodore C64 läßt sich das gut zeigen. Commodorewarb explizit mit dem Slogan: Why buy a video games machine when you can buy a computer? Und besonders bemerkenswert ist, daß diese Diskursivierung der Computertechnologie sich explizit in der Hardware sedimentierte. Der SID-Chip des C64 war ebenso wie sein Graphikchip von der Firma MOS Technology, die von Commodore im Oktober 1976 gekauft worden war, ursprünglich für Videospielkonsolen designt.


Bemerkenswert ist vor diesem historischen Hintergrund, daß die Entwickler von Tomb Raider – die FirmaCore – zuvor auch Spiele für den Commodore C64 entworfen hatten. Und auch Apple hat 1999 sein MacOS 8.5 mit dem Hinweis zu verkaufen gesucht, daß kostenlos Tomb Raider beigefügt sei.


Im übrigen ist damit keineswegs bestritten, daß der Prozeß der Anlehnung an Bildmedien eine „Durchgangsphase [...], eine historische Kompromißbildung, die die Rechner einer an Visualität gewöhnten Öffentlichkeit anbieten”[21], sein mag. Zwar glaube ich, daß die teilweise Formierung des Computers zu einer Multimedia-Illusionsmaschine noch ziemlich lange zumindest die Home-PCs prägen wird, zumal die Grenzen der Spielesoftware noch keineswegs erreicht sind und die ökonomische Funktion von Computerspielen, immer neue Grafikkarten verkäuflich zu machen, noch auf längere Zeit lukrativ sein dürfte. Es spricht aber nichts dagegen - gerade weil ich davon ausgehe, daß Technologien nicht nur Transformator von Gesellschaft, sondern auch von sozio-diskursiven und mithin auch ökonomischen Vorgaben formbar sind[22] -, daß sich diese Formung irgendwann ändert und dann vielleicht die Computerspiele samt allen Lara Crofts verschwinden wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.


Nun ist schon vom Verschwinden von Lara Croft die Rede, kaum daß der Aufsatz begonnen hat. Vielleicht ist Lara Croft wirklich nur eine flüchtige Mode. Daß aber immer wieder flüchtige Moden notwendig werden, um Techniken anschlußfähig zu machen, halte ich für sicher. Insofern kann die Untersuchung des populären Phänomens Lara Croft auch nur ein Auftakt zu weiterführenden Analysen der Einbindung von Technologien in gegebene sozio-kulturelle Felder sein, wiewohl solche Felder auch von neuen Technologien verschoben oder sogar aufgelöst werden können.[23]


3. Wer ist Lara Croft?


LautTomb Raider1 und zahllosen Biographien, die im Internet zu finden sind, wurde Lara Croft am 14.2.1968 als Tochter von Lord Henshingly Croft geboren. Sie ist also in der Welt der Aristokratie aufgewachsen und genoß eine vorzügliche Ausbildung, zuletzt auf einer Privatschule in der Schweiz; doch die von den Eltern vorbestimmte Laufbahn erfuhr ein jähes Ende, als Lara Croftnach einem Urlaub im Himalaya mit einem Flugzeug abstürzte und als einzige überlebte. Dieses traumatische Ereignis veranlaßte Lara Croft dazu, ihr Leben zu ändern und die „abenteuerlustige Archäologin” zu werden, die wir heute kennen ...


Bei einer ersten Internet-Recherche springt ins Auge, daß es im Internet von Websites zu Tomb Raider und Lara Croft nur so wimmelt. Dort findet man persönliche Äußerungen zu Erfahrungen mit Tomb Raider, Tips für die Spiele, viele „offizielle Fakten” zur eben genannten Biographie, man findet offizielle Bilder und auch viele von Usern mit Grafiksoftware selbst erstellte bzw. bearbeitete Bilder. Gerade die letzteren zeigen Lara Croft häufig nackt – was im Spiel nicht der Fall ist, es sei denn, man lädt sich ein auf diesen Websites oft ebenfalls erhältliches inoffizielles Patch zur Modifikation des Spiels herunter.[24]

Dazu paßt, daß bei einer Suche in den üblichen Suchmaschinen, wenn man als Suchbegriff Lara Croft eingibt, auch diverse Sexseiten angezeigt werden, die den voyeuristischen Blick auf pornographische Darstellungen lenken. Auf einer Website findet man gar Darstellungen, die die Züchtigung von Lara Croft durch Lehrer, Freunde etc. zeigen. Jedoch wäre es eine Verkürzung der ambivalenten, an Lara Croft angelagerten Assoziationen, sie einseitig auf ein Boy Toy (ein Begriff, den der Popstar Madonna provozierend als Eigenwerbung prägte) zu reduzieren. Lara Croft verkörpert ja auch den Typus einer aggressiven und kämpferischen „abenteuerlustigen Archäologin”, wie schon die Verpackung von Tomb Raider2 anbietet. In dem Video Männer sind Schweine der deutschen Popgruppe Die Ärzte(Abb. 1) läuft ebenfalls Lara Croft herum und beschießt die (männlichen) Mitglieder dieser Band. Hier kann sie als kampfbereite Frau, die sich gerade nicht willig hingibt, gelesen werden.

Die Teenager-Zeitschrift Bravo Girl! vom 11.11.98 titelte auf S. 10: „Ich will sein wie Lara Croft!”Über das „Computergirlie Lara” heißt es dort: „Eine einsame Heldin der PC-Welten, auf die vor allem Mädchen stehen. Denn die virtuelle Abenteurerin steht für Girl-Power pur. ‚Lara ist ein starkes Mädchen‘, sagt Cora. ‚Sie paßt auf sich auf, braucht keine Männer und läßt sich von niemandem reinreden. Ein zweidimensionales Spice-Girl eben. Probleme sind für sie da, um gelöst zu werden – mit Köpfchen oder Gewalt.‘” (Abb. 2). Lara Croft wird hier zu einer nach Popmusikstars modellierten Figur, an der sich Selbstdefinitionsprozesse der weiblichen Fans entfalten mögen, ein Prozeß, der vielleicht mit den von Fiske untersuchten Formen der Rezeption von Madonna verglichen werden kann.[25]


Ich möchte mich hier noch nicht auf die schwierige Diskussion einlassen, inwiefern die sexistischen Kontextualisierungen von Lara Croft von den letztgenannten, möglicherweise an ein fan-empowermentanschließbaren Erscheinungsformen verschieden sind oder ob es sich um bloß verschieden erscheinende Manifestationen einer wie auch immer gearteten Tiefenstruktur handelt. Hier sei bloß eine Anzahl von Kontexten vorgestellt, in denen Lara Croft erscheint, die gerade, weil sie so vielfältig sind, sehr verschiedenen Rezipienten Anschlüsse erlauben, was wahrscheinlich für die Popularität von Lara Croft als einer semiotischen Ressource mitverantwortlich ist.[26]


Es gibt noch weitere Kontexte, in denen Lara Croft auftaucht. So findet sich kaum noch ein Bericht über Computermessen in der Presse,der nicht mit Lara Croft dekoriert ist. Das Magazin Time hat Lara Croft zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten des digitalen Zeitalters ernannt. Lara Croft verkörpert so auch „Futurizität”, sie steht für die zunehmend von virtuellen Personen bevölkerte schöne neue Medienwelt. Und konsequenterweise hat 1998 gar der britische Wissenschaftsminister Lara Croft zur „Botschafterin für die herausragenden Leistungen der britischen Wissenschaft erwählt”.[27]

Douglas Coupland, Autor des Kultbuches Generation X, hat unlängst ein Buch über Lara Croft publiziert - zweifelsohne in der Hoffnung ein weiteres Kultbuch zu schreiben.[28] A propos Kult: Eidos wirbt im Lara Croft-Merchandising u.a. für ein Lara Croft-T-Shirt. Der Werbeslogan lautet schlicht: Die Kluft zum Kult.


Wenn Beltons Definition zutrifft: „In other words, stars become stars when they lose control of their images, which then take on a life of their own”[29], dann jedenfalls ist Lara Croft ein Star, insofern ihr Bild mittlerweile in den verschiedensten Zusammenhängen auftaucht[30] – ganz abgesehen davon, daß Lara Croft an den verschiedensten Stellen immer wieder explizit als „Star” tituliert wird. Die Verpackung von Tomb Raider2 verkündet bereits „starring Lara Croft”; beigefügt ist ein umfangreicher Merchandising-Katalog, der Tomb Raider/Lara Croft-T-Shirts, Thermoskannen, Kappen etc. offeriert. Und schließlich gibt es jetzt ein von Eidosherausgebrachtes eigenes Lara-Croft-Magazin, welches zahllose Bilder und Hintergrundgeschichten zu Tomb Raider bietet und Lara Croft als Megastar tituliert (Abb. 3).


Oder, wie es auf einer Webseite lautet: „Since premiering in November 1996, ‘Tomb Raider’ and its successor, ‘Tomb Raider 2’, have sold over six million copies, making it one of the best-selling video game titles in history. Lara Croft, the game's star, has been featured on more than 80 magazine and newspaper covers around the world.”[31]


4. LARA Superstar?


Die These, daß Lara Croft ein Star sein soll, verlangt noch einige Präzisierungen. Zunächst drängt sich die Frage auf, die auch Lowry in seinem Aufsatz zum „Star” in einer Fußnote stellt, ob nämlich eine vollkommen künstliche Figur ein Star sein kann.[32] Wenn dies der Fall ist, dann wäre Lara Croft wahrscheinlich nicht der erste künstliche Star – ich denke hier z. B. an Mickey Mouse – und steht insofern in einer Tradition, die es zu berücksichtigen gilt.

Und hier liegt denn auch das zentrale Problem der These: Wenn man als ein anderes Beispiel James Bondwählt, springt es ins Auge: „Star” waren hier die jeweiligen Körper hinter James Bond, also Sean Connery, Roger Moore oder jüngst Pierce Brosnan. James Bond selbst ist vielmehr so etwas wie eine „Kultfigur”. In diesem Sinne wäre es schlicht falsch, Lara Croft als Star zu bezeichnen, sie wäre vielmehr eine „Figur”, und der „Star” wäre dann die Schauspielerin, die irgendwann den Körper „hinter” ihr besitzt.[33]

Trotz des Gewichtes dieses Einwandes würde ich meinen, daß mindestens auf zwei Ebenen Prozesse zu beobachten sind, die den Prozessen bei der Konstitution von Film- und Fernsehstars sehr ähnlich sind. In 4.1 sollen einige Aspekte der Rezeption von Lara Croft untersucht werden, die sich um das „wirkliche Leben” von Lara Croft drehen. In 4.2 geht es um die Inszenierung des Körpers von Lara Croft. Die Frage, die ich hier vielleicht nicht beantworten kann, aber im Verlauf der folgenden Erörterungen mindestens anzudeuten versuche, ist, ob es möglicherweise der neue Typus eines interaktiven, „virtuellen” Körperbildes ist, der eine solche Star-Identifikation und die phantasmatische Projektion eines „Körpers hinter dem Bild von Lara Croft” aufzubauen erlaubt.


4.1. Laras „wirkliches Leben”...

Lowry bemerkt: „Allerdings ist dem Publikum wichtig, daß Stars reale Personen sind. Ein Großteil seines Interesses konzentriert sich auf die Frage, wie Stars ‚wirklich‘ sind. Das Bestreben, die ‚Wahrheit‘ über den Star als Privatperson zu erfahren, ist sowohl für das Interesse der Fans als auch für die Publikationsstrategie der Klatschblätter wichtig. Dieses Moment des Startums funktioniert aber nur, wenn auch die Differenz zwischen dem öffentlichen Image und der dahinter vermuteten realen Person – also eine gewisse Rätselhaftigkeit des Stars – erhalten bleibt.”[34]

Bemerkenswert ist, so denke ich, daß im Fall von Lara Croft Ähnliches zu beobachten ist. Das bereits genannte Lara-Croft-Magazin verspricht, Einblicke in „verborgene Seiten des Mega-Stars” zu eröffnen.

InTomb Raider2 kann man Laras Haus besichtigen und sehen, wie sie „wohnt”. Eine ausführliche Biographie von Lara Croftzirkuliert wie erwähnt im Internet. Soweit mögen dies jedoch noch gewissermaßen „offizielle” Informationen sein.

Jedoch gibt es auch den Klatsch um Lara Croft: Die englische Boulevardzeitung The Sun zeigt etwa ein Bild von Lara Croft mit George Clooney und spekuliert über eine bislang verheimlichte Beziehung zwischen den beiden (Abb. 4). Daran ist interessant, daß Lara Croft hier explizit mit einem „realen” Filmstar in Verbindung gebracht wird. Ich komme darauf zurück. Und auch andere Publikationen wie Der Spiegel haben sich ähnlich medienreflexiv und ironisch eingeschaltet: „Gibt es bald Nachwuchs im Hause Croft?” (Abb. 5).


Wichtiger als Boulevardpresse und Klatschblätter mögen im Bereich der Computerspiele und der im Internet proliferierenden Fankulturen die von den Fans und ihrer fan productivity erzeugten Texte sein. Ich möchte hier auf die mittlerweile unüberschaubare Fan Fiction verweisen, die neue Abenteuer mit Lara Croft ebenso wie unbekannte Episoden aus ihrem Leben phantasmiert. Dies unterscheidet Lara Croft allerdings wiederum nicht von anderen fiktionalen Kultfiguren: Gerade die Star Trek-Fangemeinde debattiert unaufhörlich über das Leben der Figuren „zwischen” den einzelnen Fernsehepisoden und „hinter” den verschlossenen Türen auf den Raumschiffen.[35]

Eine interessante Frage wäre hier, auf welche Weise sich eine Konsistenz zwischen den differenten Fiktionen herstellt. Wenn dies nicht geschieht, löst sich die Biographie von Lara Croft in ein Gewirr teilweise konkurrierender und inkompatibler Geschichten auf (mit der offiziellen Biographie als einzigem Referenzpunkt). Und wiederum stellt sich die Frage, ob dies bei von realen Menschen verkörperten Stars nicht ähnlich ist – Elvis‘ Leben und eben umstrittenes Sterben wären hier, wie Fiske[36] gezeigt hat, gute Beispiele.

Die offiziellen und inoffiziellen Textproduktionen schaffen so Lara Croft mit, insofern sie sie als „inferred personality”[37] durch Erzeugung immer neuer Details gewissermaßen „realisieren”. Und in Anbetracht der Tatsache, daß nachweislich auch die „realen” Biographien vieler Hollywood-Stars von den Studios fingierte Konstrukte sind und somit jeder Star zu einem großen Teil Fiktion ist, scheint mir zwischen Lara Croft und von Menschen verkörperten Stars zumindest hier nur ein gradueller Unterschied zu bestehen.


Diese Ankoppelung an das aus Film und Fernsehen (ich erinnere nochmals an das Bild mit George Clooney), aber auch aus Popmusik (auf der PopMart-Tournee von U2 1997 war Lara Croft ebenfalls präsent) und der Mode und Modelbranche bekannte Starwesen scheint mir äußerste Relevanz zu besitzen.

Es ist eine Art und Weise, in der - wie oben diskutiert - das „neue Medium” Computer an Rezeptionsformen, Subjektpositionen und auch Ikonographien angeschlossen wird, die aus alten Medien bekannt sind. Schon auf der Ebene der Software selber ist augenfällig, daß ein Spiel wie Tomb Raider mit filmähnlichen Vorspännen beginnt und schon von seiner ganzen, sofern man das sagen kann, „Handlung” (eine Archäologin sucht in Dschungeln und verlassenen Ruinen nach „verlorenen Schätzen”) und seiner visuellen Gestaltung her bis ins Detail (beispielsweise gefährliche, große, rollende Steinkugeln in Tomb Raider3) offene Anleihen bei den berühmten und populären Indiana Jones-Filmen macht.[38] Nur folgerichtig scheint, daß jetzt schon eine weitergehende Verzahnung des Spiels mit dem Film zu beobachten ist. Paramount hat von Eidos die Rechte an Lara Croft erhalten. Es wird ein Kinofilm gedreht werden, in welchem Lara Croft wahrscheinlich durch eine menschliche Schauspielerin dargestellt wird.


4.2. Laras Körper(bild)

Susanne Weingarten bemerkt: „Startum beruht auf einer permanent inszenierten Körperlichkeit, und dies gilt insbesondere für weibliche Stars”.[39] Dieser Satz scheint auch auf Lara Croft anwendbar zu sein.

Zunächst fällt die bloße Körperform auf: Eine sehr schlanke Taille und der überproportional große Busen, das lange rote Haar. Ich halte es für sehr schwierig zu sagen, ob dieses Bild bestimmte patriarchale Vorstellungen von Weiblichkeit prolongiert, ob die karikaturhafte Übertreibung vielmehr Körperideale sichtbar und daher angreifbar oder spielerisch auf das Körper-Selbstbild von Fans applizierbar macht und/oder ob Lara Crofts Verbindung mit Waffen und Muskeln die Fortsetzung der von Susanne Weingarten untersuchten Tradition der „phallischen Frau” im Kino darstellt.[40] Der springende Punkt mag auch hier wieder die Rezeption sein.


Dazu eine methodische Zwischenbemerkung: Lowry unterscheidet in der Rezeption von Stars zwei Momente: Einerseits die „bewußte oder halb-bewußte [...] Nutzung der Stars in der Phantasieproduktion der Rezipienten” und andererseits die „oft eher unbewußten (ideologischen und psychischen) Wirkungen der in den Stars verkörperten gesellschaftlichen Muster”.[41] Im Folgenden möchte ich an die Frage nach der zweiten Ebene anschließen, um einigen Aspekten der buchstäblich in Lara Croft „verkörperten gesellschaftlichen Muster” näher zu kommen. Ich glaube, daß populäre Gebilde wie Lara Croft durchaus sehr verschieden lesbar sind, daß es aber Häufungen von Kontextualisierungen gibt, die bestimmte Lesarten wahrscheinlicher als andere und damit hegemonial machen. Eine „Analyse der Häufungen”[42] sollte diesen Lesevorgaben nachspüren können.


Der erste Kontext, der eine Beschäftigung mit dem Körperbild von Lara Croft geradezu aufdrängt, ist die immer noch vielfach zirkulierende Vorstellung, digitale Medien könnten uns irgendwie vom lästigen Körper befreien. Sie ist in sehr verschiedenen Versionen weit verbreitet: Von Hans Moravecs Extremphantasien, die ein Fortbestehen des Geistes in Computerspeichern und/oder Datennetzen nach seiner Abtrennung vom Körper visionieren[43], bis hin zur moderaten Version von Sherry Turkle, die Internet-Rollenspiele und das in ihnen mögliche gender swapping für eine Möglichkeit hält, die eigene Körpererfahrung und Geschlechtlichkeit zumindest spielerisch zu distanzieren.[44]

Diese Thesen sind problematisch: Zunächst gibt es schon auf der Ebene des Umgangs mit neuen Medien sehr wohl noch den Körper: Die brennenden Augen vor dem Bildschirm und der Schwindel, den manchen in der Virtuellen Realität überfällt.[45] Außerdem kehren auffälligerweise in manchen digitalen Bildern und Animationen zumindest tendenziell ältere Körpermodellierungen und ihre Implikate wieder.[46] Claudia Springer hat ohne direkten Bezug auf Lara Croft aber dennoch sehr passend bemerkt:

„Cyberbodies, in fact, tend to appear masculine or feminine to an exaggerated degree. We find giant pumped-up pectoral muscles on the males and enourmous breasts on the females [...]. Cyborg imagery has not so far realized the ungendered ideal theorized by Donna Haraway.”[47]

An Lara Croft springt weiterhin die permanente Zur-Schau-Stellung körperlicher Höchstleistungen ins Auge - ein nicht enden wollendes Laufen, Springen, Schwimmen, Klettern, Schießen. Für Lara Croft ist ein vorübergehendes Sterben kein Problem. Nimmermüde ist sie daher ein ebenso populäres wie phantasmatisch aufgeladenes Bild für einen hyperfunktionalen Körper.[48]

Allerdings ist Lara Crofts Körperlichkeit darin noch nicht von der extremen Körperlichkeit anderer fiktionaler Kultfiguren wie beispielsweise Batmanunterschieden. Die Unterscheidung beginnt darin (und trotz aller oben diskutierten ästhetischen und rezeptiven Anschlüsse), daß das Körperbild Lara Croft, sofern es im Rahmen der Computerspiele auftritt, interaktiv ist.

Die Genealogie der „Interaktivität” in den Überlegungen der Kybernetik und insbesondere der militärisch motivierten Forschungen zur Verbesserung der Mensch/Maschine-„Symbiose”[49] kann hier nicht nachgezeichnet werden. Entscheidend scheint mir, daß mit Computerspielen, die wie Tomb Raiderin einem „halbsubjektiven” Modus verfahren, ein neuer Typus des Körperbildes auftritt. Denn dadurch, daß man in Tomb Raider Lara Crofts Körperbild sieht und dieses steuert, unterscheidet sich Tomb Raidervon sog. First-Person-Spielen, in welchem ein „Ich” in das Spiel involviert ist.[50] Diese Möglichkeit, einen, wenn auch zeichenhaft repräsentierten, anderen Körper zu steuern, entspricht den bezeichnenden Fällen militärischer oder auch schulischer und sportiver Körperdressierungen, in welchen Körper durch Befehle mehr oder minder bewegt werden können.[51]

Ein begeisterter Tomb Raider-User soll bemerkt haben: „Die Frau sieht so klasse aus, hat so einen unglaublichen Busen und ich habe sie trotzdem voll unter Kontrolle. Wann passiert das schon mal im richtigen Leben?” Oder wie Lara Croft in einer Werbung zu Tomb Raider2 verkündete: „Du kannst mich in 2000 verschiedene Positionen bewegen. Versuch das mal mit Deiner Freundin!”[52]

Die Mischung aus einem hyperfunktionalen und einem steuerbaren Körperbild ist ein brisantes Gemisch, denn einen solchen Körper kann man als einen militärisch-mobilen Körper verstehen. Daher scheint es konsequent, daß das Mädchen, was laut der Bravo Girl! wie Lara Croft sein will, ein Tarn-T-Shirt trägt (s. Abb. 2). Ob dieses in der Rezeption befolgt oder abgelehnt wird und ob es gar auf die schlichte Tatsache zurückzuführen ist, daß der Joystick aus der militärischen Forschung entspringt, kann ich hier nicht diskutieren.

Allerdings glaube ich, daß das Körperbild von Lara Croft noch komplexer ist: Im Lara Croft-Magazin findet sich eine Printwerbung des Playboy. Der Werbeslogan lautet: Echt ist auch nicht schlecht. Hier wird der echte Körper des fotografierten Models in eine Beziehung zum virtuellen Körper Lara Crofts gesetzt. In der TV Today, Nr. 19/99, S. 7 findet sich Lara Croft unter dem Stichwort Erotik 2000 und der Leitfrage „Wer wird die Marilyn des nächsten Jahrtausends?” als „Die Perfekte” in ein Raster von Frauentypen eingereiht: Zwischen der „Schlampe” - Madonna, der „Kindfrau” - Kate Moss, dem „Model” - Heidi Klum, der „Intelligenzbestie” - Sharon Stone, der „Sexbombe” - Pamela Anderson etc. (Abb. 6). Diese beiden Kontextualisierungen, die ich exemplarisch aus einer größeren Zahl von ähnlichen Kontextualisierungen ausgewählt habe, zeigen, daß die Figur Lara Croft tatsächlich stark auf ihr Körperbild fokussiert wird und nicht beispielsweise auf ihre archäologischen Kompetenzen. Im übrigen haben inzwischen bereits verschiedene Modedesigner virtuelle Kleidung für Lara Croft geschneidert. Folglich ist ihr Körperbild auch eines, das gerade in nicht-interaktiven medialen Umgebungen an exzessiv sexualisierte und eher spekuläre Körperbilder von Modelkörpern angeschlossen wird (Abb. 7 zeigt Lara Croft in einem von Alexander McQueen entworfenen Kostüm).[53] Und umgekehrt gilt, daß der Körper Lara Crofts (der „Perfekten”) eine Vor-Bild-Funktion anzunehmen beginnt.[54]


Ich möchte an dieser Stelle die gemachten Beobachtungen nochmals mit der schwierigen Frage in Zusammenhang bringen, ob man Lara Croft als Star bezeichnen kann. Ich erhebe nicht den Anspruch, hierauf eine definitive Antwort geben zu können. Ich möchte nur den Finger auf einige bemerkenswerte Punkte legen.


Eine Möglichkeit, diese Frage zu beantworten, wäre, auf den virtuellen Status von Lara Croft zu verweisen. „Virtuell” und „Fiktional” sind nicht deckungsgleich. Einen Vorschlag zur Differenzierung hat Elena Esposito gemacht. Ausgehend von der historischen Beobachtung, daß das Wort virtuell sich aus der Optik herleitet, wo es u.a. das lichtwellentäuschende Bild des Spiegels bezeichnet, welches nicht die Welt, sondern die Beobachtungsperspektiven auf die Welt vervielfältige, kommt Esposito zu folgender Definition: Das Virtuelle

„betrifft also nicht die Verdoppelung des Realen in einer alternativen Realität (wie der Fiktion), sondern gleichsam die Inversion der Perspektive des Beobachters. [...] Nicht zufällig wird gerade die Interaktivität als der neueste Aspekt der Projekte über die virtuelle Wirklichkeit vorgestellt. Was im Verhältnis zur fiktionalen Realität immer ausgeschlossen blieb, war gerade die Interaktivität. [Das Virtuelle, J.S.] ermöglicht es, mit Objekten zu interagieren, die nirgendwo außerhalb der Kommunikation existieren – die also nur als Zeichen existieren”.[55]

Und genau das ist natürlich der springende Punkt am „halb-subjektiven” Modus von Tomb Raider:Einerseits sehe ich als Spieler einem Körper zu, der sich bewegt, einem Körper, von dem ich weiß, daß er fiktional ist. Andererseits kann ich gerade auf diesen Körper zugreifen, ihn steuern, so wie ich auch in beschränkter Weise die Körper der realen Anderen steuern (und mich darin narzißtisch spiegeln) kann. So gesehen verwischt das interaktive, virtuelle Körperbild partiell die Grenzen zwischen realen und fiktiven Körpern. Vielleicht liegt darin die Wurzel für die zentrale Rolle, die der „Körper” in den Diskursen über Lara Croft spielt und auch der Grund, warum sie so häufig als „Star” tituliert wird: Die Virtualität, die „einen Raum definiert, der real und irreal zugleich ist”[56], erlaubt die partielle und/oder temporäre „Realisierung” ihres Körperbildes. Lara Crofts Körper ist in manchen Aspekten so real wie der Körper wirklicher Stars: Ist es daher ein Zufall, wenn ihr Körper auf einem „Foto” zusammen mit George Clooney auftaucht? Einem Bild, das durch seinen vorgeblich indexikalischen Charakter die Realität des Star-Körpers behauptet?[57]



4.3. Normalisierung/Flexibilisierung

Wenn Lara Croft tatsächlich eine Art „Star” ist und Stars, wie Susanne Weingarten mit Judith Butler[58] mutmaßt, gerade, indem sie Körperbilder und Geschlechtlichkeit extrem öffentlich inszenieren, zur „Selbstregulierung und Selbstnormalisierung des/der Einzelnen in Hinblick auf die gesellschaftlich jeweils gewünschte Geschlechts-Performance beitragen”[59], dann mag Lara Croft auf eine – wie ich nochmals betonen möchte – durch verschiedene Rezeptionskontexte vielfach gebrochene Weise zu dieser Selbstregulierung beitragen. In dem oben schon genannten Artikel der TV Today bemerkt Trendforscher Peter Wippermann: „Das Sexsymbol der Zukunft ist für mich Lara Croft [...] Sie ist eine virtuelle Frau, also ist sie perfekt. [...] Und sie hat keine Probleme, ihre Figur zu halten”. Deutlicher kann man den Vor-Bild-Status des Lara Croft-Körperbildes kaum artikulieren.


Eines haben ein quasi militarisierter Körper und ein Model-Körper gemein: es sind beides disziplinierte Körper (die fleißig die Figur halten). Mir scheint dennoch, daß sich die funktional-mobilen und die spekulär-sexualisierten[60] Komponenten des Lara Croft-Körperbildes nicht spannungsfrei zur Deckung bringen lassen. Diese Spannung mag typisch für den – wie Fiske sagt – „multiakzentuellen”[61] Charakter populärer Phänomene sein, insofern ein verschiedene Komponenten enthaltendes Körperbild auch verschiedene Anschlüsse für verschiedene Rezipientengruppen erlaubt, und mithin populär werden kann.

Es ist äußerst wichtig, das Körperbild von Lara Croft nicht nurim Computerspiel zu lokalisieren, sondern gerade in seiner intermedialen Zirkulation zu beobachten. Diese Zirkulation des Bildes durch verschiedene interaktive und nicht-interaktive Medien erzeugt die charakteristische Oszillation zwischen Passivität und Aktivität, zwischen einem spekulären und einem hypermobilen Körperbild.



Bemerkenswerterweise hat Lev Manovich in einem jüngeren Aufsatz explizit eine ähnliche Oszillation als Charakteristikum interaktiver Computermedien diskutiert: „Web sites, virtual worlds, computer games and many other types of hypermedia applications are characterized by a peculiar temporal dynamic: constant, repetitive shifts between an illusion and its suspense.” Das in Computerspielen adressierte Subjekt beschreibt Manovich wie folgt: „[G]ames [...] often consciously attempt to structure the subject‘s temporal experience as a series of periodic shifts. The subject is forced to oscillate between the roles of viewer and user, shifting between perceiving and acting.” Hier zeigt sich erneut die oben schon angesprochene Oszillation zwischen dem Blick auf einen passiven, sexualisierten Körper (Lara Croft als Model, auch innerhalb des Spiels) und der Mobilisierung dieses Körpers durch den Spieler (Lara Croft als aktive Spielfigur). Diese Struktur versteht Manovich nicht als vorübergehenden Mangel, sondern als prinzipielle Komponente gegenwärtiger Erfahrung: „The oscillation analyzed here is not an artifact of computer technology but a structural feature of modern society, present not just in interactive media but in numerous other social realms and on many different levels”.[62]




Manovichs Andeutung, daß diese Oszillation vielleicht ein Phänomen ist, das auch im restlichen gesellschaftlichen Prozeß eine wichtige Rolle spielt, sei aufgegriffen, sind doch „Flexibilität” und „Anpassungsfähigkeit” zu Lieblingsworten unserer neoliberalen Gegenwart geworden.

Generell ist in den letzten Jahren ein Auftauchen neuer Körperbilder zu beobachten. Erstens gibt es das Computermorphing[63], welches völlig fluide und radikal anpassungsfähige Körper darzustellen ermöglicht. Zweitens hat sich laut Wagner-Douglas und Wippermann in den frühen Neunzigern ein neuer Typus des Models herausgebildet, der vor allem durch „Fähigkeit zur Metamorphose”[64] besticht. Sherry Turkle bemerkt drittens ziemlich unverhüllt zu den vielfach diskutierten Möglichkeiten in den Multi User Domains der Datennetze, sich andersgeschlechtlich, andersfarbig etc. zu repräsentieren und d.h. alternative Personae anzunehmen und durchzuspielen:

The new metaphors of health as flexibility apply not only to human mental and physical spheres, but also to the bodies of corporations, governments, and business. These institutions function in rapidly changing circumstances; they too are coming to view their fitness in terms of their flexibility. Martin[65] describes the cultural spaces where we learn the new virtues of change over solidity. [...] In her study of the culture of flexibility, Martin does not discuss virtual communities, but these provide excellent examples of what she is talking about. In these environments, people either explicitly play roles (as in MUDs) or more subtly shape their online selves. Adults learn about being multiple and fluid – and so do children”.[66]



So betrachtet wäre die Oszillation des Körperbildes von Lara Croft zwischen verschiedenen Körpertypen mehr als nur ein multiakzentuelles Angebot verschiedener Identifikationsmuster für verschiedene Rezipientengruppen. Ebenso wie die fluiden Morphing-Körper, die Maskenwechsel von Usern in MUDs und das ständige Shiften von Computerspielern zwischen Passivität und Aktivität wäre diese Oszillation ein Bestandteil eines größeren Dispositivs[67], welches die Flexibilisierung, Selbstveränderung und plötzliche Mobilisierbarkeit des Einzelnen „eintrainiert”, weil diese Selbstveränderung eine zunehmende Notwendigkeit in den neoliberalen Ökonomien mit ihren rasant fluktuierenden Moden und Märkten darstellt.

Allerdings bemerkt Susanne Weingarten, daß „extreme Form[en] der Selbstnormalisierung, der Anpassung an herrschende Attraktivitätsnormen”[68] ambivalent wahrgenommen werden. Wird die Selbstformung durch intensive sportliche Betätigung erzielt, wird sie zumeist positiv bewertet, da sie eine „Leistung” darstellt. Sehr viel gemischter sind die Einschätzung bei einer anderen, zunehmend ins öffentliche Licht tretenden Form der Selbstanpassung: der operativen Veränderung des Körpers durch kosmetische Chirurgie:

„Das Unbehagen, das mit dieser erzwungenen De-Naturalisierung von Feminität einhergeht, zeigt sich in der Insistenz, mit der etwa im populären Star-Diskurs der letzten Jahre auf die „Echtheit” bzw. Falschheit bestimmter Körperteile weiblicher Stars verwiesen wird”.[69]

Am Beispiel von Demi Moore zeigt Weingarten, wie deren Selbstveränderung durch (tatsächliche oder erfundene) Schönheitsoperationen mit Spott und Haß kommentiert worden ist.

Nun ist Lara Croft, als deren Film-Verkörperung eine Zeitlang übrigens Demi Moore, die in einigen ihrer letzten Filme ja ebenfalls einen extrem athletischen Körper zur Schau gestellt hatte, gehandelt wurde, eine vollkommen künstliche „Person” mit definitiv unnatürlichen Körperattributen. Vielleicht muß daher unbedingt eine „echte” Schauspielerin in dem geplanten Lara Croft-Film ihren Charakter ver-körpern - gewissermaßen als retrospektive Naturalisierung, um die Künstlichkeit sowohl des Körperbildes als auch des Starimages der virtuellen Frau Lara Croft zu reduzieren. Allerdings bleibt abzuwarten, ob der Film von den Fans akzeptiert wird – ein Flop ist keineswegs ausgeschlossen, zumal der Film den Usern die Steuerbarkeit von Lara Croftvorenthält.


Daß die totale Künstlichkeit von Lara Croft ein Punkt ist, an welchem die „symbolische Artikulation der ideologischen Problembereiche und insgesamt der gesellschaftlichen Definition der Persönlichkeit oder des Individuums”[70] ausgehandelt wird, zeigt sich auch an der bezeichnenden Diskussion um die Selbstveränderung des ebenfalls zunächst für die Filmrolle vorgesehenen Fotomodells Rhona Mitra durch kosmetische Chirurgie. Sie ließ sich nämlich für die Filmrolle die Brüste operativ vergrößern, um sich dem digitalen Vorbild anzunähern. Die Boulevard-Zeitung The Sun vom 4. August 1997 berichtete: ”Rhona didn‘t have the right body shape to bring her to life before. But she‘s more than perfect for the job now. She looks amazing and loves the tight-fitting costume.” [Hervorhebung J.S.]


Die Geschichte zeigt den Übergriff des virtuellen auf den realen Körper in aller zwanghaften wie ambivalenten Deutlichkeit. Symptomatisch ist die Verkettung der kosmetischen Chirurgie mit der Computertechnologie: Die erste ist eine Technik der Körperanpassung (zumeist) an fiktive Schönheitsideale[71], die letzte, repräsentiert durch Lara Croft, kann virtuelle, unendlich transformierbare Körper liefern, die gegenwärtig ebenfalls zu Matrizen der realen Körper werden können. Und nach ihrer Umformung ist Rhona Mitra more than perfect for the job, also völlig funktional in die Arbeitsabläufe des Lara Croft-Verkörperns integrierbar. Nicht die Arbeitsplatzgestaltung richtet sich nach ihrem Körper, sondern umgekehrt: Mir scheint, daß dies ein Beleg für die nur angedeutete These ist, daß der oszillierende Lara Croft-Körper als Bestandteil eines größeren Dispositivs der Körperflexibilisierung verstanden werden kann.[72]

Wenn dies aber so ist, dann zeigt sich hieran nicht nur der Anschluß der Computertechnologie an vertraute Rezeptionsformen, sondern auch die Einbindung bestimmter Praktiken mit Computern in hegemoniale „Gefüge”[73]. Die oben sehr knapp diskutierte Spannung zwischen der Verformung des sozialen Feldes durch neue Medien und der Funktionalisierung und/oder Formierung neuer Medien durch das soziale Feld, zeigt sich hier symptomatisch: Durch die interaktiven digitalen Medien werden neuartige virtuelle Körperbilder möglich, andererseits werden diese, zumindest im Beispiel Lara Croft, selbst wieder nach traditionellen Mustern modelliert; sie sind zugleich Bestandteil und Ausdruck neuartiger machtproduzierender und disziplinierender Dispositive, die sich auf diese Weise in die Technik einschreiben und sie funktionalisieren.


[1] Kittler, Friedrich: Es gibt keine Software. In: ders., Draculas Vermächtnis. Technische Schriften. Leipzig: Reclam 1993, S. 225-242; hier S. 233 und Kittler, Friedrich: Gleichschaltungen. Über Normen und Standards der elektronischen Kommunikation. In: Geschichte der Medien. Hrsg. von Manfred Faßler und Wulf Halbach. München: Fink (UTB) 1998, S. 255-268; hier S. 255.

[2] Vgl. Roch, Axel: Die Maus. Von der elektrischen zur taktischen Feuerleitung. http://www2.rz.hu-berlin.de/inside/aesthetics/los49/texte/maus.htm.1997. Dort geht es auch um Joysticks.

[3] Kittler, Friedrich: Grammophon Film Typewriter. Berlin: Brinkmann & Bose. 1986, S. 212.

[4] Vgl. Winkler, Hartmut: Flogging a dead horse? Zum Begriff der Ideologie in der Apparatus-Debatte, bei Bolz und bei Kittler. http://www.uni-paderborn.de/~winkler/flogging.html. 1997.

[5] Nachdem Kittler aufgewiesen hat, daß auch der Stereoton aus militärischen Ortungstechniken entspringt, zieht er die Schlußfolgerung: „Inzwischen haben auch Konsumentenohren gelernt, jede Gitarre im Klangfeld zweier Lautsprecher, zwischen Bücherregal und Heizkörper zu lokalisieren” (Kittler, Friedrich: Rockmusik – ein Mißbrauch von Heeresgerät. In: Appareils et Machines à Représentation. Hrsg. von Charles Grivel. Reihe: MANA (Mannheimer Analytika) 8, S. 87-101: hier S. 97). Aber besteht zwischen dem HiFi-User, der durch konzentriertes Hören Gitarren lokalisieren oderMusik zur amorphen Hintergrund-Muzak degradieren kann und dem Soldaten, der es als Befehlmitbekommen hat, sich auf den Stereoeffekt zu konzentrieren (und dann Bomben abzuwerfen), nicht ein fundamentaler Unterschied?

[6] Ich würde von daher für einen Dialog zwischen an Semantiken orientierten und medienarchäologischen Verfahren plädieren, denn Medien sind immer beides: Techniken und Semantiken, Kanal und Botschaft (und zumeist auch noch Botschaften über die Technik; vgl. Jensen, Jens F.: Computer culture: The meaning of technology and the technology of meaning. A triadic essay on the semiotics of technology. In: The computer as medium. Hrsg. von Peter Bogh Andersen, Berit Holmquist und Jens F. Jensen. Cambridge/New York: Cambridge University Press 1993, S. 292-336).

[7] Kittler, Friedrich: Konturen einer Medienwissenschaft [Gespräch mit Florian Rötzer]. In: Vom Chaos zur Endophysik. Gespräche mit Wissenschaftlern. Hrsg. von Florian Rötzer. München: Boer 1994, S. 319-333, hier: S. 328.

[8] Zur Einbindung neuer Technologien in den Alltag, vgl. u.a. Murdock, Graham/Hartmann, Paul/Gray, Peggy: Contextualizing home computing. Resources and practices. In: Consuming Technologies. Media and information in domestic spaces. Hrsg. von Roger Silverstone & Eric Hirsch. London & New York: Routledge 1992, S. 146-162 und Moores, Shaun: Satellite TV as cultural sign: consumption, embedding and articulation. In: Media, Culture and Society, Vol. 15, No. 4, 1993, S. 621-639.

[9] Vgl. Boddy, William: Archaeologies of electronic vision and the gendered spectator. In: Screen, Vol. 35, No. 3, 1994, S. 105-122; insb. S. 113 und Lenk, Carsten. Das Dispositiv als theoretisches Paradigma der Medienforschung. Überlegungen zu einer integrativen Nutzungsgeschichte des Rundfunks. In: Rundfunk und Geschichte, Nr. 22, 1996, S. 5-17.


[10] Krämer, Sybille: Das Medium als Spur und als Apparat. In: Medien Computer Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und neue Medien. Hrsg. von Sybille Krämer. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998, S. 73-94; hier S. 85.

[11] Eine weitere Ebene, auf der Semantik sehr wohl eine Rolle für die Durchsetzung und – wie ich glaube – für die Formierung von neuen Technologien spielt, sind medienutopische Aufladungen, die, wie sich historisch zeigen läßt (Giesecke, Michael: Der Buchdruck der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998, S. 24; 27; 124-167 hat das für den Buchdruck getan), die Einführung und Durchsetzung (fast) jedes neuen Mediums begleitet haben. Leider kann hier nicht näher darauf eingegangen werden.

[12] Computerspiele kann man allerdings mindestens zum amerikanischen Whirlwind-Projekt im Jahr 1949, als von Homecomputern noch keine Rede war, zurückverfolgen. Charlie Adams und Jack Gilmore hatten damals ein kleines Programm entworfen, welches einen hüpfenden Ball simulierte. Ziel des Spiels war, durch die richtige Auswahl der Parameter, den „Ball” durch ein Loch in der X-Achse zu bugsieren (vgl. Taylor, in: Fano, Robert M./Hurst, Jan/Mahoney, Michael S./Ross, Douglas T./Taylor, Norman H.: Retrospectives 1: The Early Years in Computer Graphics at MIT, Lincoln Lab and Harvard. In: Computer Graphics, Vol. 23, No. 5, 1989, S. 19-38; hier. S. 21).

[13] Vgl. Bush, Vannevar: As we may think. In: Atlantic Monthly, Nr. 176, 1945, S. 101-108 und Engelbart, Douglas: Letter to Vannevar Bush and Program On Human Effectiveness. In: From Memex to Hypertext. Vannevar Bush and the Mind‘s Machine. Hrsg. von James M. Nyce und Paul Kahn. Boston u.a.: Academic Press 1991, S. 235-244. Friedewald, Michael: Blick zurück auf den Memex. Anmerkungen zu Vannevar Bushs Aufsatz „As we may think”. In: Informatik Forum, Bd. 12, 3/4, S. 177-185; hier S. 179 weist darauf hin, daß schon in der Konzeption des Memex die Technik zur black box wird. Ob dies nun schlecht oder gut ist, sei dahingestellt, entscheidend ist nur, daß die black box-Konzeption von Technik die Computergeschichte ursächlich begleitet. Vgl. auch Licklider, J.C.R./Taylor, Robert: The Computer as a Communication device. In: Science and Technology, April 1968, S. 21-31.

[14] Vgl. Pfaffenberger, Bryan: The social meaning of the personal computer: Or, why the personal computer revolution was no revolution. In: Anthropological Quarterly, No. 61, 1988, S. 39-47.

[15] Freiberger, Paul/Swaine Michael: Fire in the valley: the making of the personal computer. Berkeley, Calif.: Osborne/McGraw-Hill 1984, S. 34.

[16] Kittler 1998, a.a.O (Anm. 1), S. 261.

[17] Licklider/Taylor 1968, a.a.O. (Anm. 13), S. 27.

[18] Vgl. Kittler, Friedrich: Protected Mode. In: Computer als Medium. Hrsg. von Norbert Bolz, Friedrich Kittler und Georg Christoph Tholen. München: Fink 1994, S. 209-222.

[19] Vgl. Tholen, Georg Christoph: Die Zäsur der Medien. In: Intervalle 2. Schriften zur Kulturforschung: Medientheorie und die digitalen Medien. Hrsg. von Winfried Nöth und Karen Wenz. Kassel: Kassel University Press, S. 61-87; hier S. 70: „[D]er Rechner ist nicht, sondern ek-sistiert in seinen medialen Gestaltungen und Oberflächen, die er zu simulieren gestattet, d.h., er läßt sie als Bedienungs-‚Oberflächen‘ erscheinen. Sein ‚Wesen‘ ist insofern ein nicht-technisches als der Rechner sich in seinen instrumentierbaren Gestaltungen bereits von sich selbst, als bloßem Rechner unterscheidet, das heißt, keine einfache Identität besitzt. Nur so macht die Rede von der Mensch/Maschine-Schnittstelle übrigens einen nicht nur trivialen Sinn.” Gerade weil der Computer die universelle diskrete Maschine ist, kann er nur durch und in seinen Interfaces operational sein.

[20] Haddon, Leslie: The home computer: the making of a consumer electronic. In: Science and Culture, No. 2, 1988, S. 7-51.

[21] Winkler, Hartmut: Docuverse. Zur Medientheorie der Computer. München: Boer 1997, S. 187.

[22] Die langsame Verschiebung der Konnotationskomplexe, die das Internet umrunden – vom militärischen Netz, welches eine ultra-stabile Kommunikation eröffnen soll, zum anarchistischen Gegen-Öffentlichkeitsmedium schlechthin und schließlich zum elektronischen Supermarkt – kann als eine derartige Bewegung interpretiert werden. Diese Verschiebung führt dahin, daß Änderungen des Übertragungsformates, der Bandbreite etc. diskutiert werden, um beispielsweise die Nutzung des Internets als Multimedia-Markt zu ermöglichen (noch bis 1991 war von der National Science Foundation, die ab 1986 die Backbones des entstehenden Internets gestellt hatte, jede Form des Kommerzes im Netz als „unacceptable use” disqualifiziert worden). Und diese Veränderung kann bis in die Chiparchitektur und –auslegung durchgreifen. Die Nutzung des Internets als Multimedia-Markt stützt sich nämlich zentral auf die plattformunabhängige Sprache Java, die ideal dafür geeignet ist, jene multimedialen Bebilderungen darzustellen, die vornehmlich kommerzielle Websites aus der in den Print- und Bildschirmmedien entwickelten Werbung übernehmen. Mittlerweile wurden schon Chips gebaut, die Javaextra unterstützen (der erste von Java-EntwicklerSUN 1998 vorgestellte Chip war der MicroJava 701). Und so wird dann eine bestimmte Modellierung der Datennetze in die Hardware „hineinstabilisiert” (vgl. Winkler 1997, a.a.O (Anm. 21), S. 336). Ähnliches kann im Fall der gerade datenschutzrechtlich problematischen Idee Intels, jedem Pentium III-Prozessor eine eigene ID-Nummer zu verpassen, beobachtet werden. Diese Kennzeichnung wurde nämlich wesentlich zu dem Zweck vorgenommen, sichere Finanztransaktionen im Internet zu ermöglichen!

[23] Vgl. Winkler, Hartmut: Die prekäre Rolle der Technik. http://www.uni-paderborn.de/~winkler/henne.html.1997.


[24] Vgl. Rötzer, Florian: Lara Croft – nackt. http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/glosse/2684/1.html.1999.

[25] Fiske, John: Reading the popular. New York & London: Routledge. 1989, S. 95-114.

[26] Lowry, Stephen: Stars und Images. Theoretische Perspektiven auf Filmstars. In: montage/av, 6.2, 1997, S. 10-35; hier S. 23/24.

[27] Vgl. Rötzer 1999, a.a.O. (Anm. 24).

[28] Vgl. Coupland, Douglas/Ward, Kip: Lara’s Book – Lara Croft and the Tombraider Phenomenon. New York: Prima Publications 1998.

[29] Belton, John: American Cinema / American Culture. New York etc.: McGraw-Hill 1994, S. 90.

[30] Allerdings zeigt sich hier schon das Problem, daß sich im Fall von Lara Croft das Bild nicht (von der realen Person) „ablösen” kann, da es hinter Lara Croft keine reale Person gibt. Es sei gleich darauf zurückgekommen.

[31] Vgl. http://www.eidos.co.uk/lara/news.htm (Hervorhebung, J.S).

[32] Vgl. Lowry 1997, a.a.O. (Anm. 26), S. 14.

[33] Mit Dank an Hans J. Wulff.

[34] Lowry 1997, a.a.O. (Anm. 26), S. 14. Vgl. dazu Fiske, John: Power Plays Power Works. London: Verso. 1993, S. 200-202 zur Diskussion der „Verschleierung”.

[35] Die von Penley, Constance: NASA/TREK. Popular Science and Sex in America. London/New York: Verso 1997, S. 97-146 beschriebene Slash Fiction von Star Trek-Fans wäre hierfür ein gutes Beispiel.

[36] Fiske 1993, a.a.O. (Anm. 34), S. 94-123.

[37] Lowry 1997, a.a.O. (Anm. 26), S. 24.

[38] Vgl. generell zur Übernahme fotografischer und kinematographischer Codes in der sogenannt „fotorealistischen” Computergrafik und auch zu den Differenzen, Manovich, Lev: Realitätseffekte in der Computeranimation. In: Illusion und Simulation. Begegnung mit der Realität. Hrsg. von Stefan Iglhaut, Florian Rötzer und Elisabeth Schweeger. Ostfildern: Edition Cantz 1995, S. 49-60 und Fellner, W.D.: Computergrafik. Mannheim u.a.: B.I.-Wissenschafts Verlag 1992, S. 255-346. Dort stellt Fellner z.B. die (keineswegs zwingende) Möglichkeit der Übernahme der zentralperspektivischen Projektion durch die Computergrafik dar.

[39] Weingarten, Susanne: „Body of Evidence” Der Körper von Demi Moore In: montage/av, 6.2, 1997, S. 113-131; hier S. 116.

[40] Weingarten, Susanne: Die Rückkehr der phallischen Frau im Hollywood-Kino der achtziger Jahre. Coppengrave: Coppi 1995.

[41] Lowry 1997, a.a.O. (Anm. 26), S. 25.

[42] Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1995, S. 182.

[43] Moravec, Hans: Mind Children. Der Wettlauf zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz. Hamburg. 1990 und Moravec, Hans. Geist ohne Körper – Visionen von der reinen Intelligenz. In: Kultur und Technik im 21. Jahrhundert. Hrsg. von Gert Kaiser, Dirk Matejovski und Jutta Fedrowitz. Frankfurt und New York: Campus 1993, S. 81-90.

[44] Turkle, Sherry: Life on the screen. Identity in the age of the internet. New York: Touchstone 1995.

[45] Dieser Schwindel resultiert aus der Differenz der audiovisuellen und der propriozeptiven Wahrnehmungen, die in immersiven virtuellen Räumen anders als in der Situation der Kinorezeption dadurch eine stärkere Rolle spielen, weil sich der User in der VR repräsentiert findet und in ihr bewegt.

[46] Was erneut zeigt, daß es viel zu vereinfachend ist, digitalen Bildern per se jeden Weltbezug abzusprechen, vgl. dazu Winkler, Hartmut: Tearful reunion auf dem Terrain der Kunst? Der Film und die digitalen Bilder. In: Film, Fernsehen, Video und die Künste. Strategien der Intermedialität. Hrsg. von Joachim Paech. Stuttgart: Metzler 1994, S. 297-308: insb. 300-302.

[47] Springer, Claudia: The pleasures of the interface. In: Screen, Vol. 32, No. 3, 1991, S. 303-323; hier S. 309/310. Springer bezieht sich hier auf Haraway, Donna: Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften. In: dies., Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt/M. und New York: Campus 1995, S. 33-72 und deren These, daß (verkürzt gesagt) die Cyborgisierung des Körpers als Chance der Befreiung von starren Geschlechts-Oppositionen betrachtet werden sollte.

[48] Man siehe hierzu auch die Titelseite des Spiegel, Nr. 39/99 (27.09.99), wo es heißt: „Gen-Projekt Übermensch”. Dort findet sich neben Klon-Schaf Dolly, Superman, einer Skulptur von Arno Breker, Nietzsche und Hitler, schließlich ... Lara Croft!

[49] Vgl. Licklider, J.C.R.: Man-computer symbiosis. In: IRE (Insitute of Radio Engineers) IRE Transactions on Human Factors in Electronics (=HFE) 1, 1960, S. 4-11.

[50] InFirst-Person-Spielen (auch: Ego-Shooter) wie Doom, Quake oder Unreal als Spielfigur selbst kaum habe ich als Spieler einen Körper, doch zumeist ist nur die Hand mit Waffe sichtbar. Konzept solcher Spiele ist, daß sich „mein” Substitut-Körper durch die Szenerie bewegt. Diese implizite Körperlichkeit wird in einem Spiel, nämlich Duke Nukem explizit thematisiert – mein Substitut-Körper muß ab und an die Toilette aufsuchen... Übrigens liegt in der Struktur der First Person-Spiele eine klare Differenz zu einem nicht-interaktiven Medium wie dem Film, in dem sich ein durchgehaltener subjektiver point-of-view, wie in Peter Montgomerys Lady in the Lake (USA 1946), nicht bewährt hat.

[51] Allerdings sind dies nur die extremsten Formen der Körpersteuerung. Selbstredend kann ich etwa einen Freund bitten, mir ein Getränk mitzubringen. Wenn er dies tut, ist meine Körpersteuerung gelungen.

[52] Beide Zitate sind aus dem schon genannten Lara Croft-Magazin.

[53] Dies zeigt sich auch darin, daß insbesondere Tomb Raider 1 im Vergleich etwa zu Quake eher ein action-armes Spiel ist und es keinen Zeitdruck zum Lösen des Rätsels gibt. Der Spieler steuert Lara Croft und ihren hypermobilen Körper durch eine visuell aufwendige Szenerie, die mehr zu sehen gibt, als daß sie ständigen Handlungsdruck verlangt. Mit Dank an Dennis Vollmer.

[54] Selbst wenn es so wäre, daß die virtuelle Lara Croft zunächst nach einer Schauspielerin modelliert wurde, ist doch entscheidend, daß nun Lara Croft sehr viel bekannter ist und so jetzt selbst als Urbild fungiert.

[55] Esposito, Elena: Illusion und Virtualität. Kommunikative Veränderungen der Fiktion. In: Soziologie und Künstliche Intelligenz. Produkte und Probleme einer Hochtechnologie. Hrsg. von Werner Rammert. Frankfurt a.M. & New York: Campus 1995, S. 187-216; hier S. 201/202.

[56] Ebd., S. 202.

[57] An diesem Punkt sei auf Fiskes (1993, a.a.O. (Anm. 34), S. 184/185) Überlegungen zur Funktion retuschierter und manipulierter Fotografien und ihrem Verhältnis zum Körper im populären Imaginären und in der Boulevardpresse verwiesen.

[58] Vgl. Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991.

[59] Weingarten 1997, a.a.O. (Anm. 39), S. 117.

[60] Hierher gehört auch die schon genannten Sexseiten im Internet, die vielfach neben (oft ebenfalls mit Bildbearbeitungsprogrammen generierten) Nacktbildern berühmter Film- und Fernsehstars auch „Nacktbilder” von Lara Croft präsentieren.

[61] Vgl. Fiske 1993, a.a.O. (Anm. 34), S. 31/32; 108/109.

[62] Manovich, Lev: Computer simulation and the history of illusionism. Unter: http://jupiter.ucsd.edu/~manovich/essays.html.1999.


[63] Hier kann auf dessen Herkunft in den astronomischen und medizinischen Bildbearbeitungstechniken der 60er und 70er Jahre, ebenso wie auf alle späteren Transformationen und Rekontextualisierungen nicht eingegangen werden.

[64] Wagner-Douglas, Immo/Wippermann, Peter: The Body is the message. Das Bild vom Körper in den Medien, in: Kunstforum, Bd. 141, 1998, S. 184-195; hier S. 193.

[65] Sherry Turkle bezieht sich hier auf Martin, Emily: Flexible bodies: tracking immunity in American culture – from the days of polio to the age of AIDS. Boston: Beacon Press 1994.

[66] Turkle 1995, a.a.O. (Anm. 44), S. 255/256.

[67] Laut Foucault, Michel: Dispositive der Macht. Berlin: Merve 1978, S. 119/120 definiert als „entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfaßt” .

[68] Weingarten 1997, a.a.O. (Anm. 39), S. 119.

[69] Ebd., 118/119.

[70] Lowry 1997, a.a.O. (Anm. 26), S. 24.

[71] Vgl. Balsamo, Anne: Technologies of the gendered body. Reading cyborg women. Durham and London: Duke University Press 1997, S. 56-79.

[72] Und ist diese Anpassung Rhona Mitras nicht ein bizarres Beispiel für Foucaults „politische Ökonomie des Körpers” (Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994, S. 37)? Virtuelle Personen können mithin, wie schon die Automaten und Androiden vor ihnen „politische Puppen, verkleinerte Modelle von Macht” (175) sein, die die Unterwerfung und Kontrolle des Körpers vorbildlich ausdrücken. Ich möchte hier nicht vorschnell Androiden und Automaten, die eine lange und komplexe Tradition haben, mit virtuellen Personen gleichsetzen – Breton, Philippe: À l‘image de l‘Homme. Du Golem aux créatures virtuelles. Paris: Editions du Seuil 1995 stellt allerdings die virtuellen Personen sehr wohl in diese Linie.

[73] Deleuze, Gilles. Kontrolle und Werden. In: ders., Unterhandlungen 1972-1990. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993, S. 243-253; hier S. 251.